Sonntag, 3. Oktober 2010
Freiheit
Teil 2 von Rivale entworfen. Thema: Dachsitzen. Professorales Dachsitzen. Das ist keine Gehässigkeit. Und es ist auch kein Versuch, hier endlich mal einen Komödienton reinzubringen. Ich habe einfach nur gute Laune und: besser lässt sich der Eindruck nicht zusammenfassend beschreiben, um den es in Rivale 2 gehen wird. – Gute Laune habe ich, weil ich heute Nachmittag die Tess gesehen habe. Auf der Veranda der Dachwohnung gegenüber. Gesehen von meinem ehemaligen Arbeitszimmer aus. Dem sogenannten Nordzimmer. Wo sich mein Router befindet und mein Telefonport. Wo ich die Wäsche trockne und wo eine rote Plastikkiste steht, die gefüllt ist mit schwarzen Socken. Wenn ich meinen Router ein- oder ausschalte, zum Telefon greife oder wenn ich ein frisches Paar Socken aus der Kiste nehme, müsste ich mich zwingen, nicht zum Haus gegenüber und in das Wohnzimmer der Dachwohnung zu blicken, weil es genau in meiner Blickrichtung liegt. Wie auch die Veranda, auf die ich sehe durch das Fenster des Wohnzimmers und durch die auf seiner Rückseite gelegene Glastür, die zur Veranda führt. Das nur, um einen Eindruck von den Sichtverhältnissen zu vermitteln und verständlich zu machen, weshalb ich mir nicht gleich sicher war, als ich beim Griff in die Kiste mit den Socken nach drüben geschaut und bemerkt habe, dass da jemand auf der Veranda sitzt direkt vor der Glastür, und dass das die Tess sein könnte. Deshalb habe ich meine Brille geholt, noch mal genau hingeschaut und erkannt: es ist die Tess. Auch mit Brille auf. Vor sich auf den Knien mit so etwas wie einem Netbook. Und mit dem blau-weiß geringelten langarmigen Shirt an, in dem sie mal so unfassbar süß ausgesehen hat an einem Morgen, als sie ins Hallenbad kam, dass es mich hinterher ganz unglücklich gemacht hat, weil ich dachte: Nä, die kriegst du nie! – Blau-weiß geringeltes Shirt. Brille. Netbook. Tess. Sie ist also doch da. Zweifel von gestern beseitigt. Und ich ziehe mir jetzt die Schuhe an und meine Jacke und gehe raus, Zigaretten kaufen und nach einem Film schauen bei Videoworld und ärgere mich, dass ich ihr nicht zugewinkt habe, um mich mit ihr darauf zu verständigen, dass wir uns treffen draußen bei dem schönen Wetter. Deshalb zurück ins Nordzimmer, mich ans Dachfenster gestellt, zu ihr rübergeschaut, ihr zaghaft zugewinkt. Nicht erkennen können, ob sie meinen Blick erwidert oder auf den Bildschirm ihres Netbooks guckt. Da sie sich nicht rührt, auch gleich wieder Zweifel: Ist das vielleicht gar nicht die Tess, sondern die Andrea Mulder - die mutmaßliche (Mit?)Eigentümerin der Wohnung und (Ehe?)Frau des Professors; über das Wochenende da aus London? Rückzug vom Fenster. Schon wieder Ungewissheit. - Aber nur, wenn du es nicht noch mal versuchst! - Ich gehe zurück zum Fenster. Winke noch mal rüber; weniger zaghaft. Nach dem letzten Winken lege ich meinen Unterarm auf den Kopf. Die Frau auf der Veranda legt auch den Unterarm auf den Kopf. Das ist eine Reaktion. Sie hat mich gesehen. Wer? Andrea Mulder oder die Tess? – Was jetzt? Wenn sie Andrea Mulder ist, blamiere ich mich, wenn ich weiter mache. Wenn es die Tess ist, sollte ich jetzt mal einen Vorschlag machen. Ihr Zeichen geben, um zu verdeutlichen, was ich will. Geste mit vier Fingern gegen den Daumen für Reden. Mit dem Zeigefinger deuten in ihre Richtung, dann zu mir, anschließend runter deuten zur Straße: Treffen wir uns draußen? Jetzt? Endlich? Komm! – Ich will gerade anfangen mit meinem Vorschlag, da kommt der Professor ins Bild. Von links tritt er ins Wohnzimmer, durchquert es, stellt sich ins Halbdunkel an die Wand. Zeigt Präsenz, wie ich es von ihm kenne. Macht einen Schritt vor in meine Richtung, tritt wieder zurück ins Halbdunkel. Vermeidet den Blick zu mir her. Wartet darauf, dass ich mich zurückziehe. Mache ich aber heute nicht. Ich gehe nicht weg vom Fenster. Warum soll ich keinen Kontakt mit ihr aufnehmen? Ich werde sie schon nicht in den Flieger nach Las Vegas verschleppen, um sie dort unter Drogen zu setzen und zu heiraten. Ich will sie nur treffen und mit ihr sprechen. Ich raube sie Ihnen nicht, wenn sie das nicht will. Herr Professor! 21. Jahrhundert! Freiheit! - Ende der Szene: Der Professor öffnet die Verandatür und geht raus zur Tess. Ich gehe raus, um Zigaretten zu kaufen und zu Videoworld. – Text Rivale 2 poste ich voraussichtlich Ende der Woche. Kein Zusammenhang von Rivale 2 mit dem Ereignis von heute. Kein Kommentar zum Wortgebrauch von nie.