Sonntag, 3. April 2011
Somewhere
Frühling Tag 14. Taewoo. Kommt aus dem Internet-Telecafé in der Hauptstraße, als ich dort vorbeigehe. Entgegen meiner Gewohnheit sehr langsam, denn ich bin nicht passend angezogen für die sommerliche Wärme und will nicht ins Schwitzen kommen. – Hat er gelesen, was ich neulich über ihn geschrieben habe? Über die Enttäuschung, die er war als Freund und über das Phlegma, das ich ihm nachgesagt habe? – Verhaltene Begrüßung. Abwarten, wie sich der andere verhält. Aber dann ist es gleich wieder so wie es immer ist, wenn wir uns treffen. Wir stellen einander Fragen in der Art von: Wo kommst du her? Wo gehst du hin? Was macht die Malerei? Und rauchst du noch? – Ich antworte ausführlich. Er noch zurückhaltender als sonst und ausweichend, als ich ihn nach seiner Arbeit frage. Schade, denn ich höre ihm gerne zu, wenn er über seine Malerei redet. Er hat in letzter Zeit viel Papierarbeiten gemacht, sagt er. Also gezeichnet. Und er hat sich gerade neue Farben gekauft. Mehr ist nicht aus ihm raus zu kriegen. Nur noch, dass er heute lieber schwimmen geht als in sein Atelier. Zum Schwimmen geht ins Hallenbad Fischerinsel in Mitte. – Und die Freundin? Bist du immer noch die meiste Zeit bei ihr? – Nein, nicht mehr so oft. Aber wenn wir zusammen sind, ist es sehr gut. – Da gibt es nichts nachzufragen. Und so rede die längste Zeit ich. Die Frage nach dem Rauchen beantworte ich zweimal. Ein Mal, indem ich eine bekümmerte Miene aufsetze und sage: Leidenschaftlich rauche ich. Und dann noch mal beiläufig, als ich über den Film spreche, den ich gerade bei Videoworld abgegeben habe: Somewhere. Von Sofia Coppola. – Wie ist der? fragt Taewoo. – Langweilig. Aber das ist okay. Denn darum geht es auch in dem Film. Die Daseinsleere eines Filmstars, der in dem berühmten Hotel Chateau Marmont rumhängt. Und immer, wenn es ihm ganz besonders langweilig ist, dann raucht er, sage ich zu Taewoo und gucke ihn dabei bedeutsam an. Da kannste mal sehen, soll das heißen. Rauchen aus Langeweile. – Ich führe das nicht aus, obwohl ich gerade gestern Abend den Beweis dieses Zusammenhangs erlebt habe beim Ansehen des Films. Normalerweise rauche ich nicht, wenn ich einen Film angucke. Aber weil ich mich stellenweise so gelangweilt habe bei Somewhere, hatte ich am Ende drei Zigaretten geraucht. – Taewoo fragt nach: Kein guter Film? – Doch, doch. Ein sehr schöner Film. Sehr integer, sehr konsequent. Und wenn man Kinder mag, ist er auch nicht mehr so langweilig, wenn dann die elfjährige Tochter des Filmstars auftaucht. Da ist es auch ihm nicht mehr so langweilig, weil er auf seine Tochter eingehen muss. Da wacht er auf, kriegt einen anderen Blick auf sein Leben. Erkennt seine Nichtigkeit, die wir die ganze Zeit schon gesehen haben. Aber das passiert alles fast unmerklich, ohne sich überstürzendes Drama. Nur der Schluss ist eine Pose. Wenn er aus der Stadt rausfährt mit seinem schwarzen schnellen Auto; bis der Tank leer gefahren ist, und er es abstellt am Rande einer verlassenen Landstraße, Zündschlüssel stecken lässt und weggeht ins Offene Ende. - Autofahren spielt übrigens eine wichtige Rolle in dem Film. Straßen in Los Angeles, Alleen zum Beispiel, die ich noch nie gesehen habe im Kino, und dann die Freeways, die Auffahrten zu den Freeways, das Einfädeln in diesen gemächlich fließenden amerikanischen Verkehr. Vor 12 Jahren habe ich meiner damaligen Freundin bei der Trennung mein Auto überlassen, erzähle ich Taewoo. Seither bin ich nie wieder selbst Auto gefahren, es hat mir auch nie gefehlt. Gestern bei dem Film habe ich zum ersten Mal wieder Lust gekriegt Auto zu fahren. Es müsste dann aber schon in Los Angeles sein. - Mit der gleichen Ausführlichkeit rede ich dann noch über das Schreiben (ich mache zur Zeit nichts anderes), über das Älterwerden (gestern habe ich mir mal klar gemacht, dass ich im Sommer 59 werde und nächstes Jahr 60. Sechzig!), über französische und amerikanische Erwachsenenfilme und über die Porno-Darstellerin Sasha Grey (über die will ich demnächst mal schreiben, aber wahrscheinlich nicht hier, weil das nicht so hinzukriegen ist, dass die kleinen aufgeweckten Mädchen das auch lesen können; deshalb voraussichtlich im anderen Blog, den ich seit zwei Monaten heimlich schreibe). Während ich ihn vollquassle, habe ich immer Taewoos Fahrrad im Blick, früher silberfarben, jetzt schwarz - umgespritzt oder ist das ein neues Fahrrad? Und halte ich ihn denn nicht auf? Will er nicht los, nach Mitte? - Doch er scheint es nicht eilig zu haben, stellt immer wieder Zwischenfragen. Neugierig, keineswegs nur höflich. - Schließlich wird mir mein Redefluss unheimlich und ich höre auf. Der Redefluss war wohl meine Art, Wiedersehensfreude zu zeigen. Beim Verabschieden würde ich am liebsten kurz den Arm um seine Schultern legen. Doch da ich weiß, dass ihn so etwas irritiert, halte ich mich zurück und klopfe ihm nur zweimal unbeholfen, aber herzlich auf die rechte Schulter.