Freitag, 22. April 2011

Eingeweide

Lieber Dani,
wie am Sonntag besprochen habe ich Deinen Film Das Leben ist zu lang angeschaut (auf DVD) und ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe, mich dazu zu verpflichten, über den Film zu schreiben. Wir sind entfernte Nachbarn, wir haben inzwischen Bekanntschaft miteinander gemacht. Daraus könnte mit der Zeit eine gute Bekanntschaft werden. Wir könnten zum Beispiel über amerikanische TV-Serien reden, wie im zweiten Teil unseres Gesprächs am Sonntag, und ich würde nie wieder das Exposé meines Schicksenplots erwähnen, das ich Dir zu lesen gegeben habe, aber Du bist nie dazu gekommen oder hast es verlegt oder Du hast es gelesen und willst Dich lieber nicht darüber äußern, weil Du Dir auch wünschst, dass wir gute Bekannte werden. Nachdem ich am Vorabend den ersten Teil Deines Filmes gesehen hatte, habe ich mich gefragt, ob ich es nicht auch so halten sollte. Denn, als ich mir Notizen über meine Eindrücke von dem Film machte, ist mir nur Negatives eingefallen: Ich habe in mehr als 50 Minuten nicht ein Mal gelacht. Statt Erzählen, das Verkaufen eines Erzählens. Er weiß zu genau, was er tut. Alles ist Absicht. Unbehagen dabei, weil mich das an all das Schlechte erinnert hat, was ich gemacht habe in meinem Bemühen mit meinen Komödieneinfällen beim Fernsehen Erfolg zu haben. Hausierengehen mit seiner Jüdischkeit mütterlicherseits, der halachisch relevanten, aber den jüdischen Humor, auf den er Anspruch erhebt, hat er nur ein Mal gehabt, in seinem Meisterwerk Alles auf Zucker, und sonst ist er Schweizer, und sagt man nicht, dass die Schweizer die perfekteren Deutschen sind, und Deutsche können nun mal keine Komödien, es sei denn, sie wandern nach Kalifornien aus und heißen Lubitsch? – Notizen zu einem Verriss. Den wollte ich nicht schreiben. Also gar nicht schreiben oder, wenn es stimmt, dass Dein Film nur Absicht ist, herausfinden, was ist die Absicht. Das, was Du meintest, als Du sagtest: Der Film hat was. Was? – Gestern Abend den Rest angeguckt. Ab der Stelle, an der Dein Protagonist Alfi Seliger seinen Selbstmordversuch macht. Mit einem Quantum Schlaftabletten, das für einen ausgewachsenen Eisbären reichen würde, bei ihm aber erst mal nur zu Blähungen führt. Da habe ich dann zum ersten und einzigen Mal gelacht, weil ich selbst manchmal ein großer Furzer bin (Seitenbacher Frühstücksmüsli). Gestern bin ich auch nicht mehr wegen Gelangweiltseins ständig von einer Sitzbacke auf die andere gerutscht wie am Abend zuvor. Denn ich war gespannt, weil ich jeden Moment damit gerechnet habe, jetzt kommt es gleich: das, worum es geht. Was der Film hat für Dich. Du hattest mir erzählt, dass Alfi gegen Dich als Macher des Films revoltiert. Ich hatte das so verstanden, dass er aussteigen will, den Film sprengt. Das wäre was! – So aber fuchtelt er einfach nur rum mit seiner Entdeckung, dass er eine Filmfigur, deine Marionette ist, und damit kriegst du eine neue Situation für den dritten Akt und die Möglichkeit zu einer flammenden Rede über Täuschung, Illusion, Künstlichkeit des Kinos. 24 mal pro Sekunde Künstlichkeit. Künstlichkeit. Wie kommt er eigentlich drauf, dass er nur eine Kunstfigur ist in einem Film und kein richtiger Mensch? Habe ich nicht mitgekriegt. Ich habe auch nicht verstanden, warum er sich umbringen will. Weil er sein Filmprojekt über die Mohamed-Karrikaturen nicht durchbringt so wie er es sich vorstellt? Oder ist es doch eher, weil seine Frau ihn verlassen will? Oder weil niemand ihn ernst nimmt und dazu noch sein Geld auf der Bank futsch ist wegen Bankenkrise. Oder bekommt ihm das viele Kiffen nicht? Und warum kifft der eigentlich? Kiffst Du noch in diesem Ausmaß? Oder kennst Du jemanden, der in unserem Alter und in diesem Beruf noch in diesem Ausmaß kifft, dass er in seinem vollgequalmten Jaguar durch die Stadt fährt, von einem Polizisten angehalten wird, und ihm auf die Frage, wonach es so komisch riecht im Auto, antwortet, das seien Beedies? – Ich habe dann etwas gemacht, was ich noch nie gemacht habe, mir den Audiokommentar auf der DVD angesehen. Angehört. Wegen Deiner sympathischen lockeren Art sehr gerne angehört. Ich hoffte, nachdem es mir im Film nicht klar geworden ist, würde ich es nun von Dir erfahren, worum es in dem Film geht. Und da hast Du mich zum ersten Mal überrascht auf dieser DVD. Du kommentierst den Anfang des Films, wenn man eine Grafik sieht und Alfi (Off), die Zuschauer auffordert. damit die Schärfeeinstellung ihres Fernsehgerät oder ihres Laptops zu überprüfen. Das habe ich beim Ansehen des Film selbst schon nicht verstanden – wie soll das funktionieren im Kino? Und ich habe es auch nicht verstanden, wie Du das meinst, wenn Du sagst, dieser Anfang mit dem Off-Kommentar von Alfi war vielleicht sogar der Grund, warum ich den Film gemacht habe. – Verflucht, habe ich da gedacht, ich kapiere es nie, ich werde es nie erfahren, worum es geht in dem Film. Aber dann kam es (ich gebe es komplett wieder, weil es ein offener Brief ist):
Es war ein sehr intuitives und eigenartiges Arbeiten am Drehbuch, weil das Drehbuch sehr stark aus meinen Eingeweiden und aus meinem Unterbewussten geschrieben wurde und es fast schon ein kindlicher Impuls war, überhaupt den Film zu machen. Und als ich mich darangesetzt und die ersten Seiten geschrieben habe, die mit diesem Audiokommentar begonnen haben, da habe ich gespürt, dass etwas ganz Elementares aus meinem Leben zum Ausdruck kommt und dass dieser Film etwas sehr Spezielles und Persönliches sein wird und völlig unabhängig von Erfolg, Misserfolg oder Kritiken oder was immer die Resonanz darauf ist – ein Film, der in mir selber stattgefunden hat und der für mich selbst gemacht werden musste.
Da habe ich den Mund nicht mehr zugekriegt, als ich das gehört habe, und habe mich in meiner aufdringlichen Neugier und in meiner bösartigen mäkeligen Art direkt angesprochen gefühlt. Erst beschämt. Dann aber auch gleich erleichtert. Ja, wenn es so ist, habe ich  gedacht, dann gibt es gar nichts zu verstehen. Dann bedanke dich nett bei Dani für den Einblick in seine Eingeweide und sein Unbewusstes und gib ihm die Adresse deines Blogs. Denn hier, Dani, mache ich jeden Tag das Gleiche. Und da weiß auch keiner so recht, worum es geht. Manche Leute mögen es, andere hassen es, vielen ist es egal. Gut oder schlecht, mein Leben.
Herzlichen Gruß
Wolfgang