Sonntag, 10. April 2011

Über

Frühling Tag 20/21. Notiz von gestern Abend: Der Nachbar macht auf sich aufmerksam. Mehrfach. Was will er? Mir zeigen, dass er da ist und mich damit fernhalten Dann würde ich an seiner Stelle es eher vermeiden, sich mir zu zeigen. Um mir keinen Anlass zu geben, mich mit ihm zu beschäftigen und damit auch gleich wieder mit seiner Freundin, der Nachbarin. Denn wie soll ich sie vergessen, wenn er mich ständig an sie erinnert?

Von heute: Und wenn er genauso verspielt ist wie seine Freundin? Wenn er sich mir nur deshalb zeigt, weil er will, dass ich weiter über ihn und über sie schreibe und darüber, wie ich sie nicht kriege und wie verrückt ich nach ihr bin? - Dann gibt es darauf zwei Antworten. Erstens: Dann gilt für ihn das, was auch für sie gilt - dann muss er mehr machen, als nur Präsenz zeigen; denn das Präsenzzeigen ist mehrfach durchgespielt und beschrieben. Zweitens: Ich bin nicht mehr verrückt nach ihr. Ich denke zwar weiterhin an sie und beschäftige mich mit ihr. Siehe, was ich am Dienstag geschrieben habe. Und hinterher habe ich mir noch lange Gedanken gemacht, ob sie das nicht missverstehen könnte mit dem Krampf, und mir am nächsten Tag überlegt, ob ich das aufklären soll, dass das kein Krampf war, der kam vom Denken an sie, sondern ein Schreibkrampf, den ich hatte beim Verfassen des Posts über das Mädchen. Ich war schon kurz davor, am Mittwoch darüber zu posten, um bei der Gelegenheit gleich auch noch zu schreiben über eine Erinnerung an sie, die mir an diesem Tag nicht aus dem Kopf ging und begleitet war von einem zärtlichen Gefühl für sie, bei dem ich mir gesagt habe, dass ich aufhören sollte, immer so hart zu sein, wenn ich sie erwähne in meinen Texten, dass ich die Härte, die ich gegenüber mir selbst zeige in meinem Bemühen, sie mir aus dem Kopf zu schlagen, nicht gegen sie wenden sollte. – Erinnert habe ich mich an einen Abend im April vor zwei Jahren, als ich sie mit dem Nachbarn auf der Akazienstraße gesehen habe. Er buchstäblich hoch erhobenen Hauptes neben ihr gehend, seine Nase so hoch tragend, dass er nicht mitgekriegt hat, wie sie sich nach mir umgedreht hat und mir über die Schulter einen Blick zugeworfen hat, der so war, dass er mir heute noch nachgeht. Jedes Mal, wenn ich in den vergangenen zwei Jahren aufgeben wollte wegen gerade einmal wieder erwiesener Aussichtslosigkeit meiner Bemühungen, da habe ich mich an diesen Blick erinnert und nicht aufgegeben. Ich hatte sie an dem Abend gar nicht gleich erkannt, da ich sie nur von hinten gesehen habe. Ich hatte beeindruckt auf zwei Beine geschaut, Beine in sehr edlen transparenten schwarzen Strümpfen. Dann habe ich hochgeblickt, um nachzusehen, wer diese schönen Beine hat. Und in dem Moment hat sie sich nach mir umgedreht und ich habe gesehen, dass sie es ist. Zu der Zeit habe ich sie regelmäßig zwei, drei Mal in der Woche beim Schwimmen gesehen. Ich wusste, dass sie Amerikanerin ist, und habe darüber gerätselt, was sie wohl beruflich macht. Botschaftsangestellte? Lehrerin? Erzieherin? CIA-Agentin und im Nebenberuf Profi-Killerin, weil der Geheimdienst so schlecht zahlt? An dem Abend hatte sie einen dunkelblauen Mantel mit Gürtel an, dazu die edlen schwarzen Strümpfe und formelle Schuhe mit kleinem Absatz. Der Mantel der Uniform-Mantel einer Flugbegleiterin? Vielleicht ist sie Flugbegleiterin, habe ich darauf gedacht. Würde auch zu ihr passen. Könnte gut sein. - Aber wenn sie damals Flugbegleiterin war, ist sie es jetzt nicht mehr. Sie hat ein Job-Problem. Und das macht alles komplizierter, als es sein sollte. Denn das macht aus dem Unglück ein Elend, weil es sie finanziell abhängig macht und unfrei. Ende Gedanken vom Mittwoch. - Ich habe es gelassen, darüber zu schreiben, weil ich dachte, es würde sich im Laufe der Woche schon noch eine Gelegenheit ergeben, das mit dem Krampf richtigzustellen, und die Erinnerung wollte ich lieber für mich behalten, weil ich im Erinnern nichts über sie erfahre. Das sollte ich nun aber endlich mal: wenigstens ihren Namen sollte ich in Erfahrung bringen und eine Vorstellung davon bekommen, wer sie ist. Das sollte doch möglich sein, dass ich das bald mal hinkriege, nach mehr als zwei Jahren herauszufinden, wie sie heißt, wer sie ist und wie sie ist. - Mit dem Risiko, dass es mir dann mit ihr vielleicht so ergeht, wie es mir mit H., der Freundin von Inge ergangen ist? - Nach allem, was ich von ihr mitgekriegt habe, ist das nicht zu befürchten: eine uninteressante, fade Person ist sie bestimmt nicht. Eher das Gegenteil. Zu interessant. Und zu – was ist das Gegenteil von fade? – Auf jeden Fall zu viel für mich. Mir über. Das könnte sein. Wie es auch sein könnte, dass sie dem Nachbarn über ist. Dass das der Grund ist, warum sie sich mit ihm langweilt. Wie sie sich vielleicht auch mit mir langweilen würde. Doch das ist keine Aussicht, die mich schreckt. Denn es wird nicht dazu kommen, dass sie sich mit mir langweilen wird. Wenn das möglich wäre, dann hätte es die Gelegenheit dazu schon gegeben. Nachdem es die Gelegenheit in zwei Jahren nicht gegeben hat, wird es sie auch nicht mehr geben. Wenn ich eine Chance hatte, dann habe ich sie vertan. Und weil ich das inzwischen eingesehen habe, bin ich nicht mehr verrückt nach ihr. Nur noch manchmal traurig, wenn ich an sie denke - und entschlossener denn je, endlich rauszukriegen, wer sie ist. - Fortsetzung folgt? Sicher bin ich mir dessen nicht. Denn siehe oben: Es könnte sein, dass sie mir über ist. Heißt: Wenn sie mir ihren Namen nicht preisgeben will, werde ich ihn nie erfahren. Aber wenn sie will, dass wir endlich miteinander bekannt werden, dann wird es der Nachbar auf Dauer nicht verhindern können.