Montag, 25. April 2011

Hüpfen

Gegen Depressionen wie Feiertagsmelancholie oder verpassten Gelegenheiten Nachtrauern hilft Bouncing oder Reden mit einem Bouncer (*). – Den sehe ich schon von weitem, Mann im  blauem T-Shirt auf der Carl-Zuckmayer-Brücke: hüpfend, so hoch, dass ich erst denke, da steht ein Trampolin. Als ich hinkomme, ist da aber kein Trampolin. Da hat sich der Mann im blauen T-Shirt an das Brückengeländer gelehnt, um sich auszuruhen, und hat komische Dinger an seinen Füßen. Steht da, wo sonst der schöne Mann steht. Der war gestern da, ich habe ihn auch gesehen im Vorbeifahren, doch ich hatte keine Zeit, um endlich ein Interview mit ihm zu machen. Jetzt würde es mir passen, doch heute ist dem schönen Mann der Sonnenschein nicht zuverlässig genug oder ein Mal pro Woche da stehen reicht ihm. Dann eben mal den jungen Mann im blauen T-Shirt fragen, wie die Dinger an seinen Füßen heißen, damit ich ein Wort dafür habe, wenn ich später darüber schreiben werde, dass ich ihn gesehen habe. Denn viel mehr werde ich an diesem Nachmittag voraussichtlich nicht zu sehen kriegen, über das ich schreiben kann. – Die Dinger an seinen Füßen heißen Siebenmeilenstiefel, sagt der junge Mann, und da er meine Verwunderung bemerkt, zeigt er  mir. dass auf der Gummisohle der Dinger tatsächlich eingeprägt steht 7Meilenstiefel. – Und wie ist der technische Ausdruck dafür? – Sprungstelzen. – Hätte er auch gleich sagen können. Aber nichts gegen den jungen Mann! Er ist sehr aufgeschlossen und kennt das schon, dass er auf die Sprungstelzen angesprochen wird, und was dann für Fragen kommen. Irgendwann natürlich auch die Frage nach dem armen Deppen, der sich für den Rest seines Lebens von anderen den Arsch abwischen lassen muss, weil er für das Fernsehen mit Sprungstelzen über Autos gesprungen ist. – Das habe ich leider nicht gesehen, meint der Mann im blauen T-Shirt und kann mir dazu nur sagen, was er immer wieder sagt: Würden Sie mit ihrem Fahrrad über ein Auto springen? – Nein, antworte ich, um ihm die Freude zu machen, dass er darauf sagen kann: Na also! – Der junge Mann heißt Christian, wird in einem Monat 25, ist Elektroniker für Betriebstechnik und zur Zeit als SMR-Programmierer tätig, er wohnt am Bundesplatz und ist dort heute Vormittag mit seinen Sprungstelzen an den Füßen  in die U-Bahn eingestiegen, zum Alexanderplatz gefahren und von dort über den Potsdamer Platz und den Kurfürstendamm nach Schöneberg zur Carl-Zuckmayer-Brücke – ja, was? – gewandert. Mit federnden Stelzenschritten gegangen. Denn hüpfen kann man immer nur für kurze Zeit, sagt Christian, weil das zu viel Kraft kostet. 98 Prozent der Muskulatur werden beansprucht bei dieser Art der Fortbewegung. Und das ist einer der Gründe, warum man es macht: Fitness. Ein anderer Grund ist sicher, dass man auffällt, im wörtlichen Sinn herausragt, wenn man mit seinen Sprungstelzen herumstolziert. Mit 60 bis 90 anderen Bouncern wird Christian demnächst am Karneval der Kulturen teilnehmen – und da werden wir sicherlich auffallen, sagt er. Die Bouncer kommen dann von überall her, denn in Berlin gibt es noch nicht so viele von ihnen. Das sagt er nicht, das denke ich mir und die Frage, als was für eine Kultur sie da teilnehmen wollen beim Karneval der Kulturen, die verkneife ich mir. – Was war noch? – Christian hat zur Zeit Probleme mit seinen Waden. – Dann ist es also doch nicht so zuträglich, das Stolzieren auf Stelzen? – Kann man so nicht sagen: Das Problem ist, dass er sich die Waden wund gescheuert hat an den Stelzen. – Also kein muskuläres Problem, eine Hautempfindlichkeit? – Nein, ein muskuläres Problem. Weil er durch das Hüpfen und Stolzieren eine so kräftige Wadenmuskulatur bekommen hat, dass er inzwischen mit den Waden an den Stelzen anstößt. – Ich zeige mich beeindruckt, weil Christian so rührend ernsthaft ist in seiner Begeisterung. Und zum Dank für das Gespräch weise ich auf seinen Wunsch noch auf den Verein hin, in dem er sich mit 14 anderen Begeisterten organisiert hat. Berlin City Bouncers ist der Name des Vereins. Den hat er mir nicht genannt. Als ich ihn nach dem Namen fragte, hat er sich nur wortlos umgedreht und mir stolz den weißen Schriftzug auf der Rückseite seines blauen T-Shirts gezeigt: Berlin City Bouncers.

(*) to bounce = auf-, abprallen; springen, hüpfen, hopsen, dopsen