Freitag, 29. April 2011

Kate

Es geht mir gut. -  Das sieht man dir an. -  Es geht mir immer gut. – Das kann doch gar nicht sein, dass es dir immer gut geht. – Doch. Schlechten Menschen geht es immer gut. – Ist ein Spruch. – Sprichwort. Ich liebe deutsche Sprichwörter. – Ach! – Es gibt so schöne deutsche Sprichwörter und so viele. – Aber sie sterben aus, weil er der einzige 21jährige ist, der sie noch benutzt. Es gibt auch viele gute englische Sprichwörter, sage ich. Und bestimmt auch viele gute türkische. – Ja, es gibt ein paar türkische Sprichwörter, die sind nicht schlecht. Aber die deutschen sind die besten. – Du bist richtig gerne Deutscher. – Ja. – Selbst, wenn ich jetzt wollte, könnte ich seinen Namen nicht schreiben. Ich weiß, wie man ihn ausspricht; er hat meine Aussprache des Namens einige Male korrigiert: das O ist lang und das Z als scharfes S auszusprechen. Aber schreiben kann ich den Namen nicht, obwohl ich ihn schon einmal geschrieben gesehen habe. Auf der Urkunde, die er bekommen hat für die bestandene Prüfung beim Lehrgang für das Geschäft mit Toto-Lotto. Das nächste Mal werde ich ihn nach der korrekten Schreibung seines Namens fragen und dabei werde ich erwähnen, dass ich ihn künftig namentlich in meinem Blog auftreten lasse; nicht namentlich ist er schon aufgetreten. Er ist der Nachfolger des verstorbenen Hamburgers. Nichts Schlechtes über die Toten, weil sie sich nicht mehr wehren können. Deshalb nur: Er ist ein sehr, sehr würdiger Nachfolger.

Unterwegs hätte ich gerne einen Engländer getroffen und ihn beglückwünscht zur Hochzeit von Kate Middleton und Prinz William in London, um auf diese Art auch etwas zu tun zu haben mit dem Ereignis des Tages. Doch der dafür in Frage kommende Dave ist nur noch selten in Berlin, sagt Wendela, die ich nach ihm frage, und sie bestätigt: Dave hätte sich gefreut und nicht etwa verkniffen eingewandt, er selbst habe nicht geheiratet. Er hätte den Glückwunsch dankend entgegengenommen, stellvertretend für seinen künftigen König und dessen Frau Kate. Dave ist nämlich so gerne Engländer wie  Oğuzhan gerne Deutscher ist. – Oğuzhan, sprich:  ˈoːzaːn.  Schreibung und Lautschrift recherchiert im Internet. So geht es auch.

Der Schneider Gecay, bei dem ich meine reparierten Jeans heute abholen kann, war bei der Auftragsannahme einsilbig, dünnlippig, ist anscheinend ein verschlossener, eigenbrötlerischer Mann und gab mir das Gefühl, zu nerven mit meinen vielen Fragen, die ich ihm stellte: Dreimal nach dem Preis, weil ich es nicht glauben konnte, dass er fast die Hälfte weniger verlangt als die anderen Änderungsschneider. Dann habe ich noch nach dem Stoff gefragt, den er einsetzen wird, und der Größe des Stücks Stoffs und zweimal nach der Sichtbarkeit der Nähte von außen. – Als ich hinkomme, hat er gerade ein Paar Jeans auf seiner Nähmaschine in der Mache und ich denke erst, es sind meine. Nein, die hat er schon längst fertig. Sogar gebügelt hat er sie, wie ich gleich sehe, als er sie vom Kleiderbügel nimmt. Die Naht erkenne ich erst auf den dritten Blick mit Lesebrille. Das eingesetzte Stück Stoff hat genau die richtige Größe. Besser hätte man es nicht machen können, sage ich zu ihm und er ist nun überhaupt nicht mehr unzugänglich. Lächelt fein. Freut sich, dass ich mich freue – schlau werde ich aber nicht aus ihm. – Wissen Sie, dass Ihre Kollegen 14 oder 15 Euro nehmen für die gleiche Arbeit, sage ich, als ich ihm 8 Euro auf seinen Ladentisch lege? – Ich kenne alle Kollegen. Ich kenne ihre Preise. – Aber Sie bleiben bei Ihrem Preis? – Ich mache das seit 1980, antwortet er. Und hier im Laden seit 1987. – Ja, und? denke ich und sehe ihn erwartungsvoll an. – Nichts und. Er lächelt wissend. Und ich hake nach: Sie kennen Ihre Kunden? – Er lächelt. Ich gebe auf und sage: Mich haben Sie jetzt jedenfalls als Kunden gewonnen. Was kostet eigentlich eine Hose kürzer machen? – 6 Euro. – Bis bald.

Mein deutsches Lieblingssprichwort ist: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Der Satz ist auch wahr, wenn man nicht religiös eingeschüchtert ist von der Drohung ewiger Verdammnis. Man kann für Hölle auch Verderben setzen oder Lungenkrebs oder halbseitige Lähmung und Aphasie nach einem Schlaganfall, um einzusehen, wie lächerlich, sogar schädlich gute Vorsätze sind, weil sie einen in der Illusion leben lassen, zum Beispiel schon auf dem Weg zum Nichtrauchen zu sein, da der Entschluss feststeht und alles andere wird sich schon finden. Also bloß keine guten Vorsätze! Aber wie dann?