Von wegen neueröffnet. Schon seit einem Jahr gibt es die WerkstattGalerie für Keramik in der Eisenacherstraße. In den Räumen der legendären Rössli Bar (gut, dass es die nicht mehr gibt; denn war man erst mal drin, ist man vor Morgengrauen nicht mehr raus gekommen). Gedacht, die Galerie wäre neueröffnet, weil ich gestern erst auf sie aufmerksam geworden bin. Vor dem Schaufenster stehen geblieben wegen zwei Frauenfigurinen. Etwa 40 cm großen Plastiken aus braunem und weißem Ton. Das Kleid der einen Frau weiß, der Körper braun. Das Kleid der anderen braun, der Körper weiß. Sie mit dem braunen Kleid zurückgebeugt, kurz vor dem Umfallen, und in ihrem Bauch steckt ein grünes Holzstückchen. – Hä?! Was ist´n das? – Die ebenmäßige Skulptur und dann dieses Hölzchen, als hätte ein mutwilliges Kind sein Spielzeug hineingerammt in den Ton, vor dem Brennen, als er noch weich war. Harte Geste. Dissonanz. Augenfänger. – Guten Tag! Entschuldigen Sie bitte, ich habe eben die beiden Frauenfiguren im Schaufenster angeschaut und wollte fragen … . – Die Ladenbesitzerin und Künstlerin weiß schon, was ich fragen will: Das Holzstückchen, das ist der Schmerz, den ihr die andere zugefügt hat. Immer rein! Rein! Rein! Rein, bis es nicht mehr geht. Bis es einen umhaut. Das ist der Moment. Kurz bevor es sie umwirft. Wenn sie sich noch einen Tick weiter nach hinten biegt, dann fällt sie um. - So war es auch beim Formen des Tons. Wenn sie die Figur noch einen Tick weiter gebogen hätte, dann wäre der Ton gebrochen, sagt die Künstlerin. – Ich: Und die andere Frau hat ihr den Schmerz zugefügt? Ich habe die eher als Beobachterin gesehen. - Sie: Jeder sieht in den Figuren, was er will, und identifiziert sich entweder mit der Täterin oder dem Opfer. – Ich habe mich mit der Frau daneben identifiziert und sie als Beobachterin aufgefasst. – Sie: Ist sie aber nicht, sie tut nur so: Ach, was hat sie denn? – Ich bin beeindruckt. Schöner Laden, sage ich beim Weggehen zum Dank für das Gespräch. Und heute bin ich gleich noch mal hingegangen zu dem Laden von Frau Engelbrecht, Nadja Engelbrecht, so heißt die Künstlerin. Ich erkläre, dass ich die beiden Figuren nicht kaufen will. Ich will sie beschreiben. – Sie sind auch nicht zu kaufen, sagt sie. Das sind ihre ersten Arbeiten dieser Art, die gibt sie nicht her. Die hat sie in einer Nacht gemacht, als es ihr so ging wie der Frau, der sie das Holzstückchen in den Bauch gesteckt hat. Damals, in den 90er Jahren, hat sie in Neuseeland gelebt mit ihrem Mann und ihren Kindern. Dort hat sie mit dem Töpfern angefangen. Eines Tages ist sie in eine Keramik-Werkstatt gegangen – und dann bin ich da nicht mehr raus gekommen, sagt sie. – Zurück in Deutschland hat sie zwei Jahre Keramik-Design studiert und scheint mittlerweile gut im Geschäft zu sein. Nicht nur mit ihren Plastiken, auch mit den Gebrauchsgegenständen aus eigener Fertigung, die sie in ihrem Laden verkauft. - Ich: Beneidenswert. Wenn Ihnen mal die Inspiration ausgeht, dann machen Sie einfach ein paar Tage lang Becher und Schalen und bleiben so in Kontakt mit ihrem Material und dem Handwerklichen. – Sie hat darauf über Erdung gesprochen, die ihr das gibt. Ich habe an der Stelle nicht richtig zugehört, weil ich mir da überlegt habe, wie gut es wäre, wenn ich auch so etwas hätte. Worauf eine innere Stimme zu mir sagte: Du hast deinen Blog. - Stimmt, habe ich gedacht. Aber was ist mit der Inspiration? – Die kommt schon wieder, hat darauf die innere Stimme geantwortet. – Frau Engelbrecht zeigt mir nun, was sie außerdem noch macht. Klangkörper. Die sehen aus wie leckgeschlagene afrikanische Wasserkrüge. Und das ist wohl auch ihr Ursprung. Irgendwann ist einer Frau beim Wasserholen der Krug runtergefallen, und als ihr Mann den Krug mit dem Loch gesehen hat, da hat er mit der Frau geschimpft und vor Ärger auf den Krug geschlagen. Da hat es einen wunderschön satten dunklen Ton gegeben und seither gibt es in Nigeria und Guinea diese krugförmigen Trommeln, die einzigen Musikinstrumente, die von Frauen gespielt werden dürfen. Kennengelernt hat Frau Engelbrecht die Keramiktrommeln, als sie in Afrika an einem Trommelkurs teilgenommen hat. Trommlerin ist sie nämlich auch noch. - Trommlerin? Ach! - Was es damit auf sich hat, das frage ich sie bei meinem nächsten Besuch. Inzwischen ist nämlich eine junge Frau vor dem Schaufenster stehen geblieben und in den Anblick der beiden Frauenfiguren versunken. – Schauen Sie mal, wie sie guckt und lächelt! sage ich. Völlig verzückt ist sie. - Und anscheinend will sie es nun auch genauer wissen. Denn schon geht die Tür auf und sie kommt herein. - Tschüss, Frau Engelbrecht. Das nächste Mal kaufe ich etwas. Und wenn es nur ein Trinkbecher ist oder eine von diesen Schalen mit den afrikanischen Naturfarben.
Das grüne Holzstückchen, das im Bauch der Figurine steckt, ist übrigens ein Stück bemaltes Treibholz; vom Meer glattgewaschen, gefunden an einem Strand in Neuseeland. - Auf der Website der Galerie gibt es ein Foto der beiden Frauenfigurinen. Neben vielen anderen Arbeiten zu sehen in der Rubrik Plastik/Skulptur. Bitte Geduld haben beim Durchklicken! Und: Das Rot auf dem Foto ist ein Farbfehler. Die Figuren sind braun und weiß. Am besten hingehen zum Laden und sie dort angucken:
Trialog
WerkstattGalerie für Keramik
Eisenacher Str. 80
10823 Berlin
www.keramik-aus-berlin.de
mail@keramik-aus-berlin.de
0176 78355185