Mittwoch, 29. September 2010

Nektarine

Die Pfirsiche sind groß und nicht so hart. Doch vom letzten Kauf weiß ich, dass sie mehlig sind und nur wenig nach Pfirsich schmecken. Keine Kritik am Anbieter, dem türkischen Supermarkt in der Hauptstraße. Mit den Pfirsichen ist es einfach vorbei für dieses Jahr. Und die Nektarinen? Die Nektarinen sind klein und sehr hart. Dass sie klein sind, lässt vermuten, dass sie nach Nektarinen schmecken. Das übliche Betasten beginnt. Auf der Suche nach drei Früchten, die etwas weicher sind als die anderen. Sie sind alle gleich hart. Also zu Hause erst mal hinlegen, bis sie essbar sind, und für morgen eine Birne mitnehmen. Als ich eine Nektarine zurück lege, weil sie an einer Stelle angestoßen und bräunlich ist, kommt eine andere Frucht in der Auslage ins Rollen und fällt auf den Boden. Einen Fluch murmelnd bücke ich mich, hebe die Frucht auf und lege sie zurück. Nachdem ich zwei makellose Nektarinen ausgesucht habe, gebe ich sie in eine Papiertüte. Eine makellose Birne (Abate) finde ich mit einem Griff. Die Birne behalte ich in der Hand; sie muss extra gewogen werden, da das Kilo Birnen einen Euro mehr kostet als das Kilo Nektarinen. Der Mann an der Waage wickelt Wassermelonenstücke in Folie und schimpft vor sich hin. Ich kapiere gar nicht gleich, was er hat. Was auch daran liegt, dass er nicht mich, sondern das Stück Wassermelone ansieht, das er einwickelt, während er missbilligend den Kopf schüttelt und überhaupt nicht einverstanden ist mit etwas oder jemandem. Anscheinend mit mir, denn statt nun die Tüte zu nehmen, die ich ihm zum Wiegen hinhalte, schimpft er immer weiter und jetzt verstehe ich auch nach und nach weswegen. Ich fasse zusammen: Es ist nicht richtig, wenn mir eine Frucht herunter fällt, dass ich sie dann zurücklege zu den anderen Früchten. Richtig ist, die herunter gefallene Frucht ihm zu geben, damit er sie wegwerfen kann. Das sehe ich ein. Aber ich lasse mich nicht gerne tadeln und frage ihn mit aggressivem Unterton: Warum schaust du mich nicht an, wenn du mit mir redest? (Ich bin es gewohnt in türkischen Supermärkten geduzt zu werden und duze dort deshalb auch) -  Er  wiederholt seine Erklärung und fügt ihr hinzu, dass ich die herunter gefallene Nektarine nicht hätte bezahlen müssen, wenn ich sie ihm gebracht hätte. – Ich finde mich damit ab, dass er mich nicht anschaut und sage in Richtung seines abgewandten Gesichts: Ich habe einen Fehler gemacht. Ich entschuldige mich dafür. – Er geht an mir vorbei zur Auslage mit den Nektarinen und nimmt eine Frucht heraus. Kann das sein, dass er den Vorfall so scharf beobachtet hat, dass er die herunter gefallene Frucht mit einem Blick erkennt? - Er kommt zurück, wirft die Frucht in den Müll, schimpft weiter und nimmt mir einfach nicht die verdammte Tüte mit den zwei Nektarinen und die Birne ab, um sie zu wiegen. – Inzwischen habe ich mich ein zweites Mal entschuldigt. Ein drittes Mal werde ich mich nicht entschuldigen, erkläre ich ihm.  Die Situation steckt fest. Objektiv. Aber so empfinde ich es nicht. Ich bin wie hypnotisiert. Ich könnte jetzt ewig so weiter machen und er sowieso. Da schaltet sich zu unser beider Glück die Frau an der Kasse ein, in deren Nähe sich die Szene abspielt. Es ist die Kassiererin mit dem dezenten Nasenpiercing, von der ich nur ein Mal einen deutschen Satz gehört habe, als sie zu jemandem sagte: Wir fasten. Sonst habe ich sie nur Türkisch reden hören. Jetzt stellt sich heraus, dass sie - im Unterschied zu ihrem Kollegen an der Waage - fließend Deutsch spricht. Und sie schaut mich an, während sie mit mir spricht. Sie geht darauf ein, dass ich mich entschuldigt habe, und wirbt zugleich um Verständnis für ihren Kollegen. Sie erklärt mir, dass eine Frucht, die zu Boden gefallen ist, an der angestoßenen Stelle fault, und wenn sie bei den anderen Früchten liegt, überträgt sie die Fäule. – Ja, klar. Weiß ich. Verstehe ich. Ich war achtlos. Ich habe einen Fehler gemacht. – Menschen machen Fehler, sagt sie und wiederholt, dass ich die runter gefallene Frucht nicht kaufen muss. Nur dem Kollegen geben, damit er sie entsorgt. - Ich sage: Mache ich das nächste Mal! - Inzwischen hat sich der Kollege beruhigt. Die Vermittlung der Kassiererin hat ihn besänftigt. Wortlos nimmt er mir die Tüte und die Birne ab. Er legt die Birne in die Tüte, wiegt sie zusammen mit den Nektarinen und sagt, ohne mich anzuschauen, aber betont versöhnlich: Gleicher Preis. – Ich bedanke mich für die großzügige Geste. – Er nickt. Klebt das Preisetikett an die Tüte und gibt sie mir. - Na wie wohl? - Ohne mich anzuschauen. – An der Kasse zahle ich 2, 09 Euro. Die Kassiererin sagt noch mal, dass Menschen Fehler machen, und ich sage: Jetzt haben wir das auch mal zusammen erlebt. - Hinterher frage ich mich, ob der Mann an der Waage mir deshalb nicht in die Augen geschaut hat, weil er denkt, dass ich unrein bin. In einem religiösen Sinn, meine ich. Aber das kann nicht sein. Dann hätte mir die Kassiererin auch nicht in die Augen geschaut.