Mittwoch, 15. September 2010

Trompete

Bild und Satz. Bild: Das alte Zirkuspferd, das zu tanzen anfängt, wenn es eine Trompete hört. Satz der Produzentin: Bei den Sendern hat man es mit Redakteuren zu tun, die null Kontakt zum Publikum haben und Fernsehen für ihre Freunde und Bekannte machen wollen, für Leute, die gar nicht fernsehen. – Redakteure, die nicht wissen, was es heißt, von 1000 Euro im Monat zu leben. Oder gerade drei Kinder ins Bett gebracht zu haben und jetzt den Fernseher einzuschalten und für zwei Stunden das überall in der Wohnung verstreute Spielzeug, das Chaos in der Küche, die ungeöffneten Briefe mit den Rechnungen und den Mann vergessen zu wollen, der nur noch stumpf vor sich hinguckt, so fertig kommt er jeden Abend von der Arbeit nach Hause. – Um es mit meinen Worten zu sagen: Menschen, die sich zuballern wollen mit Fernsehen und dafür Ballerstoff brauchen. Die zwei Minuten nach Anfang im Bild sein wollen, worum es geht, und wissen wollen, ob sie das interessiert. Ob das was mit ihrem Leben zu tun hat, ihrer Realität und ihren Wünschen, Träumen und Sehnsüchten. Und dann wollen sie mitgerissen werden. Rasant soll es sein, aber nicht zu schnell, bewegen soll es sie, aber nicht belasten. Und, das hat wieder die Produzentin gesagt, bei unserem ersten Treffen: Lebenshilfe sucht das Publikum im Fernsehen und die soll es auch finden. – So ist das und insofern was für ein Quatsch, Fernsehen für Leute machen zu wollen, die nicht fernsehen. Die lieber ins Theater gehen oder ins Kino, lieber lesen in Büchern oder im Internet oder Liebesbriefe schreiben an die unerreichbare Geliebte auf der anderen Straßenseite, wie ich es getan habe und den Fernseher nur eingeschaltet, wenn Bayern München spielte in der Champions League. – Verstanden. Akzeptiert. Sie haben ja recht. Aber ich sehe nun mal selbst nicht fern. Ich gehöre nicht zu der Gemeinschaft, die sich Abend für Abend um das virtuelle Lagerfeuer versammelt. Kann ich dann trotzdem für das Fernsehpublikum schreiben? Ich habe es schon getan. Ich hatte auch Freude daran. Doch ab irgendwann nicht mehr. Weil ich was machen wollte, was mit mir zu tun hat. Aber dann kann das kein Fernsehen sein. Das endlich mal einsehen! - Eingesehen. Ja. Gestern endgültig. Und dann heute wie ferngesteuert – was gemacht? – Am Trivialstoff rumprobiert. An dem Plotansatz, von dem die Produzentin sagte, der könnte es sein für ihren Auftraggeber. Aus Cinderella Cindy gemacht, und die ist keine mir in ihren Absichten rätselhafte Blondine aus meiner komplizierten Biografie, sondern das ist eine Frau, die auf ihrer Fernbedienung auf der 1 RTL hat und auf der 2 Pro7 und auf der 3 Sat 1 und dann kommt vielleicht noch Vox und RTL2. Mehr braucht die nicht auf ihrer Fernbedienung. Was sie sonst noch braucht, habe ich mir ausgemalt und in einen Lauf beim Schreiben bin ich gekommen dabei. Jetzt noch eine Vorstellung vom dritten Akt, der allerdings immer der schwerste ist, und ich habe was in der Hand für die Produzentin. Am finanziellen Anreiz hat es nicht gelegen, dass ich das gemacht habe. 800 Euro für eine Stoffentwicklung, das ist deutlich weniger als die Hälfte dessen, was es üblicherweise gibt (2500 Euro) und es ist um 200 Euro weniger als der TV-Zuschauer pro Monat hat, von dem die Redakteure beim Sender sich nicht vorstellen können, wie der lebt. Und für dieses Honorar, das ein Erfolgshonorar ist, was heißt, ich kriege es erst, wenn jemand zustimmend genickt hat, für dieses Honorar, das ich vielleicht gar nicht kriege, stelle ich mir jetzt vor, was die Frau mit den drei endlich schlafenden Kindern braucht, um sich zuballern zu können mit der Geschichte von Cindy. Mal sehen, wie es weiter geht, und ob ich morgen die Trompete wieder höre.