Dienstag, 14. September 2010

Produzentin

Die TV-Produzentin hat wie ich heute morgen Bild.de über den Kachelmann-Prozess gelesen. Sie glaubt wie ich, dass Jörg Kachelmann unschuldig ist. Im Sinne der Anklage. Aber irgend etwas muss er der Nebenklägerin angetan haben, irgendetwas, das vor Gericht nicht zur Verhandlung steht, muss passiert sein, dass sie diesen Racheakt gegen ihn durchzieht. Bislang so erfolgreich, dass die Mannheimer Justiz es für gerechtfertigt hielt, ihn monatelang in Untersuchungshaft zu nehmen. Und wenn sie ihren Racheakt weiter so erfolgreich durchzieht, dann wird er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt nicht unter 5 Jahren. Doch gleich wie der Prozess ausgeht, der (übrigens aus Mannheim kommende) Erfolgsproduzent Nico Hofman wird sich die Rechte am Schicksal der Nebenklägerin sichern und einen bewegenden TV-Zweiteiler daraus machen, am liebsten mit der Frau, die aussieht wie die gesichtsoperierte Tochter eines Fleischermeisters, die bald den Laden der Eltern übernehmen wird, aber das wegen übergroßer Beliebtheit beim deutschen Fernsehpublikum nicht nötig hat und bald in einer weiteren Rolle ihres Lebens die Nebenklägerin verkörpern wird. Das deutsche Fernsehpublikum, bei dem Kachelmann so beliebt war, und das ihn mehrheitlich wieder zurück haben möchte als Wettermann, vorausgesetzt, er kann seine Unschuld beweisen, was mir unter den gegebenen Umständen nahezu aussichtslos erscheint. Ende der Abschweifung. Und schon mittendrin im Thema. Liebe, Liebe, Liebe. Wahre Liebe. Vorgetäuschte Liebe. Sehnsucht nach Liebe. Eine Frau, die sich immer die falschen Männer aussucht und jetzt endlich den Richtigen findet. Aber das ist so ein Künstlertyp, der wohnt in einem schönen alten Haus und das soll weg, wenn es nach dem Willen des Vaters der Frau geht, der ein Bauunternehmer ist, und die junge Frau hat zum ersten Mal das Vertrauen ihres Vaters geschenkt bekommen, dass er ihr die Verantwortung für ein Projekt überträgt, das nun aber leider das Projekt ist, weswegen das schöne alte Haus weg muss, in dem der Mann lebt, in den sich die Frau verliebt hat, weil er endlich der Richtige ist. Das ist eine Geschichte, mit der man beim Publikum keinen Fehler machen kann, weil das Publikum das alles irgendwann schon mal gesehen hat und weil das Publikum am liebsten sieht, was es schon kennt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur, ich will so eine Geschichte nicht erzählen. Das versteht die TV-Produzentin. Aber dann soll ich mal sagen, was ich für eine Idee habe, wenn mir ihre nicht gefällt. Ich habe mehrere Ideen. Und wie sich im Gespräch mit der TV-Produzentin bald herausstellt, passen die nicht zusammen, zumindest nicht, wenn es um Verkaufbarkeit geht und streng berücksichtigt wird, was das Publikum will. Sie hat ein Gespür für die Interessen und die Bedürfnisse des Publikums. Sie redet sehr ausführlich, das ist anstrengend, aber in den Passagen, in denen sie über das Publikum redet, wird es mir nie zu lang. Nur, will ich auch für dieses Publikum schreiben? - Viel lieber würde ich über die TV-Produzentin schreiben und darüber, was sie alles vom Publikum weiß und über das Publikum denkt. Am Ende unseres Gesprächs sind aus meinem Plotansatz, den ich ihr vorgestellt habe, zwei Plotansätze geworden: Der eine ist sehr einfach, sie selbst nennt ihn trivial, aber er ist der erfolgversprechende, wenn wir von Privatfernsehen reden, und es ist der Plotansatz für den sie ein geringes, sehr geringes Entwicklungsgeld von einem Sender in der Hand hat.  Der andere Plotansatz würde sie selbst auch mehr interessieren, aber für den müssten wir uns erst noch einen Sender suchen. Ich kann es mir aussuchen. Als ich nach dem Gespräch durch den Regen zur U-Bahn gehe, habe ich das Gefühl vor einer Entscheidung zwischen Armut und Elend zu stehen. Ich verschiebe die Entscheidung auf morgen und zurück zu Hause rette ich den Tag, indem ich den Post Erschöpft schreibe.