Donnerstag, 16. September 2010

Elend

Die Impressionen vom Fernsehpublikum gestern. Die Vorstellung von jemand, der mit 1000 Euro im Monat auskommen muss, ist von der Produzentin. Die Vorstellung von der Frau mit den drei Kindern und dem abends stumpf vor sich hin blickenden Mann ist von mir. Heute Morgen gedacht an den Vorsatz, dieser Frau zu geben, was sie braucht, damit sie sich zuballern kann damit, wenn die Kinder schlafen. Erkannt, dass mich das einfach nicht interessiert, mir zu überlegen, was die braucht, wenn sie ihren Fernseher eingeschaltet hat, und wie ich es anstellen könnte, ihr das zu geben. Was nicht heißt, dass mich die Frau nicht interessiert. Wie zum Beweis dessen später auf die Idee gekommen, sie hinein zu nehmen in den Plot. Sie mitspielen zu lassen. Dann kann die Frau auf ihrer Wohnzimmer-Couch bei dem Plot mitmachen über die Frau in dem Film, die ist wie sie. Wenn auch nur als Randfigur einer älteren Schwester von der Cindy, zu der die Cindy kommt, um sich auszuheulen oder unterzuschlüpfen bei ihr für ein paar Tage, wenn sie bei ihrem Love Interest rausgeflogen oder abgehauen ist. Randfigur nur. So ist das eben, wenn man abends nichts anderes weiß oder zu nichts anderem mehr in der Lage ist, als den Fernseher einzuschalten. Was nicht heißt, dass die nicht auch eine eigene Geschichte haben könnte, die Frau mit den drei Kindern. Wenn ich sie zwei oder drei mal besuchen und ihr zuhören würde, dann könnte ich eine Geschichte über sie schreiben, die am Ende viel interessanter wäre als die ausgedachte Geschichte über ihre Schwester. Nur würde sie diese Geschichte nicht interessieren. Weil sie die schon kennt, nur zu gut kennt? – Oh, ich würde bestimmt Aspekte entdecken, die sie überraschen würden. – Sie schüttelt den Kopf. Nein, es würde sie trotzdem nicht interessieren. Weil, wenn sie sich am Abend auf die Couch setzt, dann will sie tagträumen – dann will sie Leuten zugucken, die die gleichen Wünsche, Träume, Sehnsüchte haben wie sie und die das dann für sie machen, sich diese Wünsche zu erfüllen, ihren Traum zu verwirklichen, ans Ziel ihrer Sehnsucht zu  kommen. Was im Leben selten passiert, doch in einem TV-Movie – nach Ablauf der dafür vorgesehenen Irrungen und Wirrungen - allemal hinzukriegen ist. Aber nicht von mir. Weil ich mich nicht für ihre Wünsche, Träume, Sehnsüchte interessiere. Weil die das Langweiligste sind an der Frau. Weil alles an ihr spannender und manches an ihr sogar verehrungswürdig ist, nur diese Wünsche, Träume, Sehnsüchte sind ein einziger Kitsch und etwas, wo sie sich selbst so klein macht, wie sie es gar nicht nötig hätte. So klein macht,  weil sie da so ist wie so viele andere auch. Weil das Massenware ist, die sie in ihrem Kopf hat. Deshalb würde ich sie viel lieber abbringen von diesem Kitsch. Ihr zeigen, was das für ein Blödsinn ist, wenn man diese massenkonfektionierten Vorstellungen zu Ende lebt. Genau so wie es ein Blödsinn ist, sich diesen Billigurlaub, den jährlichen, vom Mund abzusparen, und dann in einem überfüllten Billigflieger an irgendeinen Ort in der Sonne zu reisen, wo es viel zu heiß ist für die Kinder. Dort vierzehn Tage in einem Billighotel zu wohnen und einem menschenverachtenden Service ausgeliefert zu sein und jeden Tag an einem überfüllten Strand rumzuhängen, umgeben von Leuten mit dem gleichen standardisierten Fernweh wie sie und der gleichen verbissenen Entschlossenheit, das alles jetzt wunderschön und unvergesslich zu finden. Denn es muss reichen für wenigstens ein halbes Jahr, bis sie wieder anfangen kann, sich auf den nächsten Billigurlaub zu freuen. - Heulen könnte ich, zum Gefühlssozialisten könnte ich werden, wenn ich zu lange daran denke, wie die Frau beschissen wird und dabei auch noch mithilft mit ihren Wünschen, Träumen, Sehnsüchten, ihren massenkonfektionierten. – „Beiträge zur Phänomenologie des Massenelends. Teil 1: TV-Movies und Billigurlaube“. – Und was heißt das fürs Plotten morgen? – Weiß ich noch nicht. Wollte nur mal ausprobieren, was passiert, wenn ich die Mutter der drei Kinder, die ich heute Früh, von hier in den Plot versetzt habe, wieder zurück hole. Könnte ich wieder mal machen, jemanden aus dem Plot mit hierher bringen.