Donnerstag, 26. August 2010

Kulturen

Im großen türkischen Supermarkt in der Hauptstraße. Situation an der Kasse. Ich bin dran. An der Kasse sitzt heute die junge Frau, die aussieht wie ein Mädchen vom Lande, das schon länger in der Stadt lebt; sie hat ein dezentes Nasenpiercing. Der große Mann hinter mir kaut Mandeln. Er hält der Kassiererin die Tüte mit den Mandeln hin, um ihr welche anzubieten. Sie lehnt ab: Wir fasten, sagt sie. – Ich faste auch, sagt er. Aber heute nicht. – Warum nicht, fragt die Kassiererin streng. – Weil ich Medikamente nehmen muss, antwortet der Mann. – Hediye hat mir mal erzählt, dass der Besitzer des Supermarkts gläubiger Moslem ist. In dem ganzen riesigen Supermarkt gibt es keinen Raki, keinen Wein, null Alkohol. Der Besitzer springt manchmal ein an der Kasse. Wir haben uns schon häufiger gesehen. Gestern schaut er mich so an, dass ich spontan grüße. Er grüßt nicht zurück und hinterher bin ich unentschieden, ob ich mir deswegen blöd vorkommen soll. - Einer der Obst- und Gemüseverkäufer lacht sich jedes Mal schief darüber, wie ich penibel die Pfirsiche befühle, bevor ich mich für einen entscheide; und das, obwohl ich nie mehr als zwei oder drei kaufe. Darüber haben wir schon ein paar Mal zusammen gelacht; er hat mir auch schon Pfirsiche rausgesucht. Aber sobald eine Landsfrau oder ein Landsmann von ihm in seiner Nähe auftaucht, bricht er das Gespräch mit mir abrupt ab, um sich ihr oder ihm zuzuwenden. – Der Besitzer des Tabakwaren-Ladens neben dem Felsenkeller ist Hamburger. Wenn er einen anderen Hamburger erkennt, strahlt er, und man bekommt eine Vorstellung davon, wie freundlich er sein kann. Mir gegenüber ist er mürrisch. Das kommt auch daher, dass wir zweimal aneinander geraten sind. Ich habe mal versucht, unseren Umgang zu entkrampfen, indem ich sagte: Wir sind uns nicht grün. Das kommt vor. Aber wir müssen uns deswegen ja nicht hassen. - Es hat nichts genutzt. Einmal hat er zu mir gesagt, ich soll nicht so verdrießlich gucken. Darauf habe ich für ihn gelacht. Auch das hat nichts genutzt. Es ist jedes Mal ein sozialer Stress, wenn ich hier Zigaretten kaufe. Aber der Laden liegt nun mal auf meinem Rückweg, wenn ich Besorgungen in der Hauptstraße gemacht habe. Und in den Tabakwaren- und Zeitungsladen des schwäbischen Ex-Sanyassins weiter unten in der Akazienstraße gehe ich nicht mehr. Ich habe mal eine Frankfurter Rundschau vom Vortag gebraucht. Er hatte noch eine und hat dafür den vollen Preis verlangt. 1 Euro 50 für eine Zeitung von gestern. Zu Hause habe ich festgestellt, dass auf der Rückseite der Zeitung der Stempel des Gottlob war, des Bistros in der Nähe, das der schwäbische Ex-Sanyassin mit Zeitungen beliefert. Er hatte mir also 1 Euro 50 abgeknöpft für eine Zeitung vom Vortag, die er an einen Abonnenten ausgeliefert und tags darauf wieder zurück genommen, also entsorgt hatte. Seither rede ich mit ihm nur noch über Fußball. – Am liebsten kaufe ich meine Zigaretten in dem Laden Ecke Eisenacher/Grunewaldstraße. Inzwischen weiß ich sogar, wie die beiden Brüder heißen, denen der Laden gehört: Sülo und Sinan. Den jüngeren, Sinan, rede ich manchmal mit seinem Namen an und er redet mich manchmal mit meinem an. Mit dem älteren Bruder ist diese Vertrautheit nicht entstanden. Trotzdem ist es gemessen am Umgang mit dem Hamburger eine einzige Freude mit ihm zu tun zu haben. – Bei den beiden Brüdern komme ich vorbei, wenn ich bei Aldi oder Penny Markt auf der Ecke Grunewald-/Martin-Luther-Straße einkaufen war. Bei Penny ist es nach mehreren Jahren jetzt so, dass die Frauen, die hier arbeiten, eine verhaltene Freundlichkeit mir gegenüber zeigen. Wenn sie einen guten Tag haben, sagen sie sogar Hallo. Bei Aldi kann ich wahrscheinlich noch 30 Jahre einkaufen und die gleichen Frauen werden immer noch die gleichen verschlossenen Mienen machen, wenn ich den Laden betrete. Da ich hier wie dort gleich auftrete, und das Personal hier wie dort deutschstämmig ist, scheint es einen Unterschied in der Unternehmenskultur von Aldi und Penny zu geben, der sich unter anderem im Grußverhalten auswirkt. - Der bestgeführte Supermarkt, den ich kennengelernt habe, war der Edeka-Laden in der Gleditschstraße. Inzwischen ist er nicht mehr ganz so gut geführt. Wohl auch deshalb, weil dort inzwischen in der Mehrzahl Menschen arbeiten, die ich mal Arbeitsagentursklaven nenne. Schlecht bezahlt, perspektivlos, bei Fragen eines Kunden in der Regel überfordert, weil nicht vom Fach, aber trotzdem zugänglich und hilfsbereit. Mit einem von ihnen, einem jungen Türken, bin ich mal ins Gespräch gekommen. Ein andermal fragte ich ihn, ob sie Chips für die Einkaufwagen hätten, da ich meinen Chip verloren hatte. - Er konnte mir nicht weiterhelfen. Sie hatten mal welche. Jetzt nicht mehr. - Zwei Wochen später bemerkt er mich, kommt auf mich zu, greift in die Tasche seines Kittels und hält mir einen Einkaufswagen-Chip vor die Nase. Den hatte er in einem anderem Supermarkt bekommen und für mich aufgehoben. Ich konnte es nicht fassen. Ich kann es immer noch nicht fassen. Neuerdings trägt er Krawatte. Ich nehme an, er will damit Leistungsbereitschaft signalisieren. Die Arbeitsagentursklaven sind immer nur zwei Jahre bei Edeka beschäftigt und ihre Chance, danach fest angestellt zu werden, ist gering. Jedes Mal, wenn ich den jungen Türken mit der Krawatte sehe, wünsche ich ihm im Stillen, dass er es schaffen wird übernommen zu werden. Darüber, dass er mich mittlerweile nicht mehr grüßt, mache ich mir weiter keine Gedanken. Das kann sich auch wieder ändern.