Mittwoch, 11. August 2010

gap

U2 nach Prenzlauer Berg. Lautsprecherdurchsage, zweisprachig: Beachten Sie die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante. Mind the gap between the train and the platform. In der Londoner und der New Yorker U-Bahn heißt es einfach nur: Mind the gap.  -  Jetzt noch den Unterschied markieren von Geschichtenerzählen in einem Land, in dem es heißt Beachten sie die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante, und einem Land, in dem es heißt Mind the gap. Und fertig ist das Feuilleton. - Nähe Kollwitzplatz. Treffen mit einer TV- Produzentin. Unser erster direkter Kontakt. Bekanntwerden miteinander. Ob es was werden kann,  weiß man spätestens nach fünf Minuten. Jetzt brauchen wir nur noch eine Idee, besser gleich mehrere. Auf der Aufgabe rumdenken bis Ende nächster Woche. Dann reden wir weiter. - Rückfahrt. Am Rosa-Luxemburg-Platz steigt ein junges Paar mit Kinderwagen ein. Er Franzose. Spricht mit dem Kind.  Die Frau spricht nicht. Das Kind auch nicht. Der junge Franzose setzt sich neben den Kinderwagen. Öffnet eine Tüte mit Brezel darin. Er bricht Stücke in der Tüte ab, steckt eins dem Kind in den Mund, steckt eins der sich zu ihm herunter beugenden Frau in den Mund, dann erst isst er selbst. Das Kind hat mit seinem Brezelstück  erst mal zu tun. Die Frau will ein zweites Stück. Wieder beugt sie sich zu dem Mann herunter und er schiebt ihr das Brezelstück in den Mund. Erst beim Abbeißen nimmt sie ihre Hand zu Hilfe. Gefüttert werden. Sie ist sehr dünn und an den Händen trägt sie schwere silberne Ringe. Ihre langen dünnen Beine in den Jeans. Große gleichförmig ausgewaschene Flecken auf  Ober- und Unterseite der Schenkel. Used washed Jeans. Used-washed-Optik. Das Prollige solcher Jeans. Aber da kann man sich auch täuschen. Leute, die außerhalb der Codes leben. -  Zuhause Notizen, Festhalten einer Idee, die ich hatte während des Gesprächs mit der Produzentin. Für mich behalten; erst mal ausprobieren, wo sie hin führt. Die Notizen schreibe ich in das Notizheft unter das, was ich heute Morgen hingekritzelt habe:
Vierte Phase des Schreibens an sie: erzählen von mir
Verrat gegen Verrat
Biest gegen Biest
fremde hartherzige Frau
die Kaltherzigkeit, mit der sie mich meiner Verwirrung überlassen hat/überlässt
Notizen zum langen Brief zum Abschied. Enttäuschung, dass die Tess sich nicht gerührt hat gestern an meinem Geburtstag; sie weiß, dass ich gestern Geburtstag hatte (für sie gut zu merken, weil der Professor am gleichen Tag Geburtstag hat). Dass sie sich nicht gerührt hat. Weil sie nicht wollte? Weil sie nicht konnte? Weil sie nicht durfte? Weil sie sch in einer Zwangslage befindet? - Meine ewigen Entschuldigungen für sie. Im besten Fall ist sie feige. Aber wahrscheinlich ist sie nur opportunistisch. Oder uninteressiert. Was weiß ich?  Es ist deprimierend und unklar. Sie tut nichts dafür, dass es klarer wird. Im besten Fall ist sie feige. Mind the gap.