Freitag, 20. August 2010
Lügen 2
Das ist jetzt nicht über die Lügengeschichten von vorgestern. Das ist üher ein Buch, das ich nicht gelesen habe: Jürgen Schmieder, Du sollst nicht lügen. Seit mehreren Monaten in der Spiegel-Bestsellerliste Sachbücher gewesen und seit gestern nicht mehr drin. Der Autor hat in einem Selbstversuch 40 Tage nicht gelogen oder es wenigstens tapfer versucht, immer die Wahrheit zu sagen. Hier gibt es ein Video, in dem der sympathische 31jährige noch ganz unter dem Eindruck dieser Extremerfahrung zu stehen scheint. Und hier gibt es eine Leseprobe mit einem Text, der so was von gut geschrieben ist, dass ich mich gefragt habe, ob sie den Autor zu lange auf der Journalistenschule behalten haben oder sein Dealer sich verwogen hat. Was mich abgehalten hat, das Buch zu lesen, war jedoch etwas anderes: die Behauptung des Autors, dass er 300 Schimpfwörter kennt. - 300 Schimpfwörter! Nie und nimmer kennt der so viele Schimpfwörter. Und wenn er in einem so unwichtigen Punkt schon unseriös ist, was ist dann vom Rest seiner Geschichte zu halten? Wenn er, wie auf dem Klappentext angekündigt, von blauen Flecken erzählt, die er sich bei seinem Selbstversuch zugezogen hat, von Nächten, die er auf der Couch verbringen musste, von diversen Beleidigungen und von einem verlorenen Freund. Im Klappentext steht noch, dass "die Wissenschaft” herausgefunden hat, dass wir bis zu 200 Mal am Tag lügen. „Bis zu“, es können also auch nur 20 Mal sein. Was auch schon viel ist. Für mich allemal, da ich gar nicht auf so viele soziale Kontakte pro Tag komme, um auch nur 20 Mal zu lügen. Es kann allerdings sein, dass da Selbstlügen, also wenn man sich selbst was vormacht, eingeschlossen sind. Und dann sieht es auch bei mir „zahlenmäßig“ gleich ganz anders aus. – Zurück zum Buch. Dem trotz aller Einwände guten Buch. Denn es ist ein Buch, das man nicht lesen muss. Es reicht zu wissen, worum es darin geht. Alles andere kann man sich selbst vorstellen oder es selbst ausprobieren, wie es wäre, wenn man radikal ehrlich wäre. Blaue Flecken, Nächte auf der Couch, diverse Beleidigungen, Verlust eines Freundes - so was kriegt jeder selbst hin, da braucht man keinen Autor dafür. Ich rate allerdings, bevor man mit dem Selbstversuch Ernst macht, ihn erst mal nur durchzuspielen und dann die Risiken abzuwägen. Ich habe ein ähnliches Projekt nämlich seit mehr als sechs Jahren laufen. Es ist schon längst kein Versuch mehr, es ist mein Leben. Mehr dazu ein andermal. Heute nur das als Warnung: Von den bis zu 400 Freunden und Bekannten, die sich einst um mich tummelten wie ein Riesenschwarm verschmuster Delphine, ist gerade mal eine schlaffe Handvoll Unentwegter übrig geblieben. Die sind alle so ehrlich wie ich und es ist nicht immer eine Freude mit denen umzugehen.