Donnerstag, 19. August 2010
Getrennt
Feel so suicidal / Even hate my rock and roll - das ist von John Lennon (Yer Blues, White Album) und nein, ich will nicht sterben. Aber so wie in der John-Lennon-Formulierung fühle ich mich, weil jetzt auch noch das Schreiben verloren zu gehen droht. Deshalb lasse ich weg, was ich heute Nachmittag vorbereitet habe, und versuche jetzt mal das, was ich eigentlich nie machen wollte: über diesen Mann zu schreiben, der mein wichtigster Gesprächspartner ist in der Nachbarschaft; gleicher Jahrgang wie ich, Raucher auf der Straße, aus Rücksicht auf seine Frau und seine Tochter, die längst ausgezogen ist und die Frau seit Mai auch (zu einer Freundin mit einer Zwölf-Zimmer-Wohnung). Das ist das Thema. Das Reden mit ihm darüber das einzige Lebendige, das mir passiert ist heute, außer dem Anblick meiner ägyptischen Wasserpflanze, die inzwischen hier steht, als wäre sie schon vor mir da gewesen. Der Mann. Quartalsäufer. Noch alles mögliche andere. Aber um Quartalsäufer geht es. Drei-, viermal im Jahr betrinkt er sich, so sehr, dass er in einem bemitleidenswerten Zustand ist – das muss ich dir schon sagen und da verstehe ich deine Frau schon, dass ihr das nicht gefällt, sage ich zu ihm. Aber dass sie dich dehalb verlässt, wegen drei-, viermal, wo du an 360 Tagen alkoholfrei bist, das kann ich nicht glauben; da muss es noch was anderes geben. – Nein, gibt es nicht. Sie will, dass ich trockener Alkoholiker werde und mich dazu in eine Therapie begebe. – Und warum machst du das nicht? – Weil ich nicht darauf verzichten will, wenn ich in Schottland in Ferien bin, abends am Kamin zu sitzen und Whiskey oder Bier zu trinken. - Ach so, das auch noch. Also 340 Tage. Aber ist das denn so wichtig? – Ja! – Aber es tut dir doch leid, sie zu verlieren? - Ja. – Du liebst sie noch? – Ja. – Und sie? Hat sie vielleicht einen anderen Mann? – Nein. Keine Frau, mit der ich zusammen war, hat einen anderen Mann gehabt, während sie mit mir zusammen war. – Aha. Dann ist es eine Machtprobe. – Sie will ihren Kopf durchsetzen. Sie will mich beherrschen. Sie ist so. – Das stimmt, das habe ich mitgekriegt, wie du dich hast beherrschen lassen von ihr. Richtig unterwürfig warst du. Ich weiß noch, wie sie aus dem Haus gekommen ist, und dich von dem Gespräch mit mir weggeholt hat wie einen kleinen Jungen. Und als du mich einmal in euren Garten einladen wolltest, hat sie es dir verboten. – Weil sie dachte, wir besaufen uns da und fallen in den Rosen rum. – So betrunken war ich noch nie in meinem Leben. Ich bin wahrscheinlich der gediegenste Umgang, den du hast. - Abschätziges Grinsen von ihm. - Aber so richtig traurig bist du nicht? Fehlt sie dir nicht. – Oh, doch. Das B****** fehlt mir. - Schreckliches Wort. Sag doch f`*****. - Noch schrecklicheres Wort. – F***** ist ein jahrhundertealtes deutsches Wort, bedeutet ursprünglich heftig reiben und beschreibt damit ziemlich genau den sexuellen Vorgang, und das allemal besser als b******, was ich nie und nimmer machen möchte, nicht einmal dabei sein möchte ich, wenn das jemand macht. - Ihm sind Worte nicht so wichtig wie mir. Er überlegt, ob er am Abend noch rollschuhfahren soll. – Ich kapiere diese Trennung immer noch nicht und zweifle weiter an ihrer Endgültigkeit. – Er erklärt mir, dass seine Frau sich eine Wohnung gekauft hat und von ihm aus gerne in ihren Elfenbeinturm in Dahlem ziehen kann. – Wieder grüßt er eine junge Frau, die hinter uns vorbeigeht. Jetzt schon die dritte.– Woher kennst du all die jungen Frauen? – Die wohnen bei uns im Haus. - Was hat dir eigentlich an deiner Frau so gefallen? - Sie ist hochintelligent, gebildet, selbständig, emanzipiert. – Und herrschsüchtig. - Das ist ihr Problem. Sie fühlt sich allen überlegen. – Exkurs in die Familiengeschichte der Frau. – Ich finde mich allmählich mit der Trennung der beiden ab. Die Frau konnte ich nie leiden und ich habe nicht verstanden, dass er sich von ihr hat beherrschen lassen. Aber es war nun mal seine Frau. Doch da sie es nun nicht mehr ist, kann ich mal offen fragen: Findest du sie denn attraktiv? – Oh ja,! ... Er begründet das damit, was für guten Sex sie hatten. – Verstehe, du findest sie begehrenswert. War sie denn mal hübsch? - Sehr. Sie hat sehr ausgeprägte Gesichtszüge.– Hm. ... Ich unterdrücke, was ich immer schon gedacht habe und einer dritten Person gegenüber so beschreiben würde: Sie sieht immer aus, als hätte sie gerade gekotzt. Natürlich eine Übertreibung, zu der es nie gekommen wäre, wenn sie sich mir gegenüber nicht so ablehnend verhalten hätte. Trotzdem: Wie sehr muss er sie lieben, wenn er sie attraktiv findet. Und wie muss es ihn schmerzen, sie zu verlieren. Doch anmerken lässt er es sich nicht. Vielleicht gesteht er es nicht einmal sich selbst ein. Er lässt sich nicht gehen. Er bewahrt Haltung. Er macht Pläne. Er denkt praktisch. Die 300 Euro Miete, die er jetzt mehr zahlen muss (ihren Mietanteil) die wird er einsparen beim Einkaufen, weil er jetzt keinen teuren französischen Käse und keinen teuren italienischen Schinken und nicht mehr alle möglichen teuren Bio-Lebensmittel einkaufen muss. Und er wird Alkohol trinken, wann es ihm gefällt, und lernen sich nicht mehr zu betrinken. Ich denke, dass ihm das vielleicht auch gelingt, wenn seine Frau nicht mehr auf ihn aufpasst und er jetzt selbst auf sich aufpassen muss. Wenn es bei der Trennung bleibt. Wenn. Es ist nämlich so, dass sie erst in zwei Monaten ihre neue Wohnung beziehen kann. Und da hat sie allen Ernstes von ihm verlangt, dass er für diese zwei Monate die bisherige gemeinsame Wohnung räumt, damit sie so lange da wohnen kann. – Hier! sagt er und tippt sich an die Stirn. Und ich sage: Die will dich nur quälen. Und daran kannst du sehen, dass sie noch nicht fertig mit dir ist. Denn warum sollte sie dich noch quälen wollen, wenn sie nichts mehr von dir wollte. – Was er darauf gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Egal. Sie ist noch nicht fertig mit ihm und er mit ihr sowieso nicht.