Sonntag, 29. August 2010
Humbug
Wegen des Herbstwetters nicht nach Kreuzberg mit dem Fahrrad und im Moviemento Enter the Void angeguckt. Deshalb auch nicht auf dem Rückweg bei Peter vorbei, der einen zweiten Versuch mit meinem Gesicht machen wollte, dieses Mal mit seiner Spiegelreflexkamera, einer digitalen. Ihn angerufen, abgesagt. Ihn bei der Gelegenheit gefragt, was er über die Sarrazin-Debatte denkt. Der hat in allem recht, sagt Peter. Der kommt nur so verkniffen rüber, weil er von einem Schlaganfall eine Gesichtslähmung hat. – Ich weise darauf hin, dass ich nicht fernsehe und deshalb immer nur lese, was der Sarrazin raushaut, und das auch schlimm finde, ohne dass ich seine Gesichtslähmung dabei sehe. Ganz egal, womit er im einzelnen recht hat, im Ganzen ist er ein Hassprediger. Und ein schäbiger Charakter ist er außerdem noch, weil er immer nur auf kleine Leute losgeht. – Der Peter hört sich das an und beruft sich dann auf den Henryk Broder, der dem Sarrazin zugestimmt hat in einem Artikel im Spiegel oder in SPON. – Ich sage, der Broder ist auch ein Hassprediger, allerdings ein lustiger Hassprediger. Der Peter sagt: Ich mag den Broder. – Ich sage: Ich mag den Broder auch. Weil er Humor hat. Was vielleicht daran liegt, dass er das jüdische Gen hat, von dem der Sarrazin behauptet, dass es das gibt, und daraufhin haben sich die üblichen Aufgeregten wie Westerwelle und Friedmann darüber aufgeregt. Wobei mich nur gewundert hat, dass unter den üblichen Aufgeregten dieses Mal auch der Baron Guttenberg gewesen sein soll, der mir bisher immer so klischeefrei vorgekommen ist. - Darüber wollte ich eigentlich heute schreiben: über die Behauptung,, dass es ein Gen geben soll, das Juden genetisch als Juden markiert, und über die Rassismus-Aufgeregtheit darüber, die sterile, und dann wollte ich darauf hinweisen, dass es eine Firma Igenea gibt, die einen Test anbietet, von dem sie behaupten, dass man damit feststellen kann, ob man jüdische Vorfahren hat. Außerdem wollte ich darauf hinweisen, dass es letztes Jahr - oder war es vorletztes - mal eine Berichterstattung gegeben hat quer durch die deutsche Presse, dass jeder zehnte Deutsche jüdische Vorfahren hat, wie durch Genanalysen nachgewiesen worden sei. Deshalb wollte ich darauf hinweisen, weil sich damals niemand, kein Westerwelle, kein Friedmann, kein Baron Guttenberg, wegen Rassismus aufgeregt hat, den es bedeutet, wenn man unterstellt, es gäbe chromosomale Besonderheiten bei Menschen jüdischer Herkunft. Als ich mir das im Internet alles noch mal angeschaut habe, ist mir klar geworden, dass hinter der Berichterstatung, wonach jeder zehnte Deutsche jüdische Wurzeln hat, wahrscheinlich die Firma Igenea gesteckt hat, und dass das eine Marketing-Aktion von denen war, das zu lancieren, in der Hoffnung, dass es genug dumme Deutsche gibt, die sich jetzt Gentests bei Igenea kaufen. Beim Recherchieren habe ich einen Artikel des Berliner Rabbis Nachama gefunden, der dafür plädiert, dass das Oberrabinat in Israel endlich Gentests als Beleg für Jüdischkeit anerkennen und nicht immer so pingelig weiter auf dem halachischen Gesetz beharren soll, wonach als jüdisch anerkannt nur der werden darf, der eine jüdische Mutter hat oder die Mühsal einer Konversion auf sich nimmt. Über meine Google-Suchergebnisse bin ich von Nachama schließlich zum Blog Immer wieder Freitag gekommen, in dem sich einer nicht mehr einkriegt über den Nachama-Artikel in der Jüdischen Allgemeinen, wo das doch sonst eine der besten deutschen Wochenzeitungen sei, ganz "im Gegensatz zur Jüdischen Zeitung, deren Lektüre beim Leser übelste Kopfschmerzen verursacht". Autsch! Der Autor hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, zu erklären, warum er das mit der chromosomalen Besonderheit jüdischer Menschen für "Bullshit" hält, weil er offenbar der Ansicht ist, dass dieser "Bullshit" als solcher jedem Leser seines Blogs sofort einleuchten muss. Da habe ich mich gefragt, in was für einen Diskurs bin ich da hinein geraten? Was geht mich das an? Und wie kann ich mein Blog von Humbug wie diesem frei halten? – Doch da war es schon zu spät. Da hatte sich der Humbug schon so breit gemacht in meinem Tag, dass ich nicht mehr darum herum gekommen bin, darauf einzugehen. - Und wie kann ich mein Blog von weiterem Humbug frei halten? - Indem ich bei dem Thema bleibe, das ich exklusiv habe: Ich und die kleine Welt um mich herum.