Dienstag, 24. August 2010

Verloren

Tess. Douglas Coupland. Oleg Ilyapour. Vater Perser. Mutter Russin. Er Berliner. Stoffladen in der Akazienstraße. Fichu. Malerische Erscheinung, wie er da mit weißer Joppe auf der Schwelle seines Ladeneingangs hockt. Seine Socken über die Hosenbeine gezogen. Birkenstock-Sandalen. Und über seine Schultern der Blick in das Innere des Ladens mit den Stoffen und den Knöpfen, die man sonst nirgendwo findet in der ganzen Stadt. Gott ist eine Amöbe. sagt er.  Kein Alkohol, keine Drogen sein Leben lang nicht. 67 Jahre alt, keine einzige Falte auf der Stirn. – Sie würde ich gerne mal kennenlernen, habe ich zu ihm gesagt, als ich vorhin an seinem Laden vorbeiging. – Wird ja auch Zeit, nach all den Jahren, antwortete er. Und schon ging es los mit den Kriminellen auf der Potse und ihren Frauen, die als Nutten gearbeitet haben, und der Kinderwagen stand irgendwo im Hauseingang. Und er, gerade mal 12 Jahre alt, immer dabei. Weil es ihn da hingezogen hat, weil die so menschlich waren, sagt er.  Und ich bin froh, dass ich endlich mit ihm im Gespräch bin. Als ich aus dem Haus ging, habe ich es mir vorgenommen: Heute spreche ich ihn an, wenn er alleine da sitzt.  Prompt hat es geklappt.  Nicht schlecht für einen Patienten, als der ich mich fühle zur Zeit. Wie ein Typ im Pyjama und mit offenem Bademantel und ausgelatschten Schlappen an den Füßen, der im Garten eines Krankenhauses herumgeht, fühle ich mich, wenn ich unterwegs bin auf der Straße. Auch schon wieder Ende des Bildes. Nur das. – Oleg Ilyapour. Demnächst Fortsetzung des Gesprächs, wenn er mir seinen Laden zeigt mit den "Stoffen aus sieben Jahrzehnten" und Knöpfen, die man sonst nirgendwo kriegt, nur bei ihm. –  Für Douglas Coupland reicht es jetzt nicht mehr. Schreck in der Morgenstunde war er.  Mehr vielleicht morgen. Jetzt nur noch: Tess, anders! Bitte! Anders! So geht es nicht mehr. So. Geht. Es. Nicht. Mehr. So gehen wir uns verloren.