Samstag, 21. August 2010

Schlingensief

Im Januar 2008 habe ich ihn vor dem  Elektroladen auf der Ecke Akazienstraße/ Beltzigerstraße stehen sehen und mich gefragt, was macht denn der Schlingensief am Montagvormittag in Schöneberg vor dem Elektroladen. Ich war überrascht, wie groß er war und was für ein gut aussehender Mann. In der Wirklichkeit viel besser aussehend als bei Medienauftritten; vielleicht, weil er da immer rumgekaspert hat, während er hier nur auf jemanden wartete und dann auf meinen Blick des Erkennens mit diesem Verhaltenstrick reagierte, mit dem Promis es schaffen, sich unscheinbar und unansprechbar zu machen. Kurz darauf habe ich auf irgendeiner Website gelesen, dass er Lungenkrebs hat und dass ihm ein Lungenflügel entfernt werden soll.  Drei Monate später habe ich ihn wieder auf der Akazienstraße gesehen. Grauer Frühlingstag. Samstag. Einkaufssituation. Bei ihm war eine kleine Frau. Bei der wird er wohnen, zu der hat er sich zurückgezogen, habe ich mir gedacht, und wahrscheinlich war sie die Person, auf die er damals vor dem Elektroladen gewartet hat. Die Frau war Aino Laberenz, die er später geheiratet hat. An dem Tag hat er nicht das mit dem Promiverhalten gemacht, sondern seinen Blick gesenkt, als er meinem begegnete. Es war ihm anzusehen, wie schwer krank er war.  - Zwei Monate darauf. Der Obst- und Gemüseladen gegenüber der Apostel-Paulus- Kirche. Früher Morgen eines strahlenden Sommertages. Noch bevor ich ihn sehe, höre ich ihn. wie er seiner Freundin verkündet, dass sie jetzt eine Melone kaufen werden. Eine Melone. Eine Melone. Ich verlasse gerade den Laden. Er kommt herein. Wir drängen uns aneinander vorbei durch den Türrahmen. Wie zwei Idioten. Keiner bereit, dem anderen den Vortritt zu lassen. Im Weggehen freue ich mich für ihn, dass es ihm schon wieder so gut geht. Beim Theatertreffen 2009 war sein Fluxus-Oratorium Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir eingeladen. Ich hatte keine Karte mehr bekommen und habe es mir im Fernsehen angeschaut. Rotz und Wasser heulend, lachend, heulend und wieder lachend und am Ende bekam ich eine Gänsehaut, als der Schlingensief da stand neben der Angela Winkler und FLUXUS! FLUXUS! FLUXUS! in den Saal gerufen hat. Was für ein Triumph! Und was für ein Arschloch-Erlebnis, als ich danach in den Felsenkeller ging, um ein Bier zu trinken, und über das eben gesehene Stück redete und da war der zum Platzen dicke Martin, der, als er Schlingensief hörte. in seiner feisten Art  von einem Abend im Florian erzählte, an dem Schlingensief immerzu Deutschland, Deutschland über alles gesungen hat. Worauf der fette Martin ihm sagte, wenn er jetzt nicht damit aufhört, dann langt er ihm eine. Und der Schlingensief habe nichts bessere gewusst, als ihm darauf hin mit seinem Anwalt zu drohen. Was sicher nicht sehr geistreich war von dem Schlingensief. Aber noch dümmer war es von dem fetten Martin, einem Till Eulenspiegel mit Schlägen zu drohen. Das habe ich dem fetten Martin so gesagt und seither machen wir uns nicht mehr vor, uns zu mögen. –  Foto: Christoph Schlingensief mit Tilda Swinton. Satz: Heute verlor die Kunst ihren tollsten Jungen.