Mittwoch, 29. Juni 2011

Suche

Das spindeldürre kleine Mädchen isst ein giftgrünes Eis aus einem durchsichtigen Becher. Die Mutter des Kindes trägt ein kurzes Sommerkleid in der Farbe des Eises. Als ich das bemerke, sagt die Mutter, dass sie zwei Stunden lang gesucht haben, bis sie ein Eis im passenden Farbton gefunden haben. Wäre ihnen das nicht gelungen, hätte das Kind kein Eis gekriegt. Die Mutter ist Vanessa, die beste Freundin von Liljana. Und warum bin ich nicht noch ein bisschen geblieben? Dann hätte ich jetzt noch mehr Dialog dieser Sorte. – Ich bin nicht geblieben, weil sie gleich mittagessen wollten. Mittwoch ist nämlich Kantinentag in den Höfen, in denen sich Liljanas Galerie befindet. Es gibt jemanden, der kocht, das  Essen zum Preis von 3 Euro 50 pro Person verkauft, und so wie Liljana es mir angepriesen hat, muss das Essen sehr gut sein. Aber ich habe gesagt, ich bin kein Mittagesser, ich bin Abendesser. Eine typische Antwort von mir. Was ich alles nicht bin und was mir dadurch schon entgangen ist im Leben. Jetzt der Mittagstisch mit den beiden Frauen und dem kleinen Mädchen und den scharfzüngigen schnellen Dialog, den es dabei bestimmt gegeben hätte. Die Frauen beide aus Bosnien. Liljana abgehauen, gleich 1990, als der Krieg losgegangen ist. Sie war in Sarajewo. Montags wollte sie in einer Firma anfangen, Stelle im Management, sonntags ging der Krieg los. – Während ich mich verabschiede, kommt der Künstler der vergangenen Woche in den Hof gefahren mit seinem Fahrrad. Wir begrüßen uns. Zwischen der Galeristin und dem Künstler kein Wort, kein Blick. Der Künstler sagt, das sei nett von mir gewesen, dass ich nicht mehr über ihn geschrieben habe, als dass er nicht will, dass ich über ihn schreibe. -  Nett? Korrekt war das, würde ich sagen. Außerdem will ich mich doch nicht gleich verfeinden mit dir, kaum dass wir uns näher kennengelernt haben. – Zu meiner Überraschung ist er nun doch bereit, seine Bilder zu zeigen in meinem Blog und will auch gerne was dazu sagen. Nur nichts Persönliches. – Von mir aus. Dann eben so. Nur über die Bilder. Als wären die nicht auch persönlich. Aber eben kontrolliert persönlich. Inszeniert. Gestaltet. Abgesichert. Jeder kann es sehen, das ist substanzielle Kunst. Bürgerliche Kunst. Gibt es noch eine andere? Suche danach.

Flip-Flops
Hila hört auf im Kaiser-Kiosk. Nach einem Jahr. Morgen letzter Arbeitstag. Wenn es klappt, wird sie Ende August zwei Häuser weiter in der Apotheke anfangen. Mit einer Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin. Sie will sich weiter entwickeln und eine Arbeit haben, die ihr so viel einbringt, dass sie finanziell unabhängig ist, wenn sie heiratet. – Gibt es den Mann dafür denn schon? – Nein. – Nein? Kein Freund? – Nein. – Wirklich nicht? – Nein. Es gibt Männer, die sie nett findet, aber keinen Freund. Sie will jetzt erst ihre Ausbildung machen und dann erst will sie heiraten. – Aber du guckst doch schon nach einem Mann (ich duze sie inzwischen).  – Nein, ich gucke nicht. Erst, wenn ich meine Ausbildung habe. – Und wenn du finanziell unabhängig bist. – Sie nickt auf diese inständige Hila-Art, deretwegen ich ihr jedes Mal. wenn sie so nickt, über das Kopftuch streichen möchte wie einem Kind. Das ist sie aber schon lange nicht mehr. Sie ist 21 Jahre alt. Und als wir nun auf ihre Schulzeit zu sprechen kommen, sagt sie, dass sie nicht das brave Mädchen gewesen ist, für das Viele sie halten. – Du hast schon einiges hinter dir? – Sie nickt wieder auf ihre Hila-Art und lächelt dabei so, dass ich  ab jetzt nicht mehr glaube, dass sie brav ist. 

Obwohl ich die Zigaretten nun schon habe, gehe ich noch bei Oguzhan im anderen Tabakwarenladen vorbei, weil ich hören will, ob sie schon Ersatz für Hila haben. Und das hätte ich mal besser nicht gemacht. Denn während er mir erklärt, dass Gülcan vom Laden in der Akazienstraße ins Kaiser-Kiosk wechseln wird und ich mich wundere über diese Personalentscheidung: wozu hat sie dann den Lehrgang für Toto-Lotto gemacht, das es im Kaiser-Kiosk nicht gibt? – während dessen fällt mein Blick auf die Füße Oguzhans und die Flip-Flops, die er trägt. Schwarz und schlicht. Wo hast du die her? – Hat meine Mutter gekauft. 1 Euro 50. – Ich setze mir in den Kopf, dass ich solche Flip-Flops sofort auch haben muss. Darauf führe ich in fünf Läden Gespräche mit Verkäuferinnen, die alle blond sind. Eine ist die Frau, zu der ich ein persönlich schwer belastetes Verhältnis habe und die anders als ich nachtragend ist. Sie schaut gleich wieder verbittert, als ich ihren Laden betrete, und teilt mir dann sowas von  kurz angebunden mit, dass sie keine Flip-Flops haben, dass ich es ihr nicht glaube und annehme, das sagt sie nur, weil sie nicht mit mir zu tun haben will. Doch dann entwickelt sich ein Gespräch, in dem sich herausstellt, dass sie die Wahrheit sagt. Und als sie mir am Ende einen Laden nennt, auf den ich selbst nicht gekommen bin, ist es auf einmal ein ganz unbelastetes Gespräch. Das immerhin habe ich erreicht: wir vertragen uns wieder. In dem empfohlenen Laden haben sie aber auch keine Flip-Flops: Letztes Jahr hatten wir welche. Die wollte niemand haben. Und dieses Jahr rennen sie uns die Tür ein wegen Flip-Flops. Mit Männerschuhen ist es ein schwieriges Geschäft, sagt die blonde Verkäuferin. – Im sechsten und letzten Laden, Laden mit Sportkleidung, spreche ich mit einem Mann mit dunklen Haaren, einer exzentrischen Frisur und einer mir sehr angenehmen schwuchteligen Art. Er bedauert, in dieser Saison keine Flip-Flops im Angebot zu haben und empfiehlt mir den Laden, in dem die Frau aus dem Posting von gestern arbeitet. Da kann ich heute aber auf keinen Fall hin, sonst denkt sie sich weiß was und fühlt sich von mir verfolgt. Ich beschließe, noch zwei Tage vergehen zu lassen, bis ich dort vorspreche, und frage mich jetzt schon, wie ich darüber schreiben soll, wenn ich wegen Anonymisierung der Frau aus dem Posting von gestern den Namen des Ladens nicht nennen kann. Vorstellung: ich finde dort die gesuchten schwarzen schlichten Flip-Flops zwar nicht gerade für 1 Euro 50, so ein Laden ist das nicht, aber zu einem Preis, den ich bezahlen kann, und dann kann ich den Laden nicht weiter empfehlen, weil ich seinen Namen nicht nennen darf.