Montag, 27. Juni 2011

Zielgruppe

Brigitte Stamm von der Galerie für junge KünstlerInnen hat mir ihren Namen genannt und sie hat mir gesagt, dass sie schon gesprochen hat mit ihr über mich. Aber viel hat die Galeristin ihr offenbar nicht erzählt von mir, denn jetzt möchte Karina Pośpiech erst mal wissen, was für ein Blog das ist, in dem ich über sie schreiben will, und nach der Adresse des Blogs fragt sie, um ihn sich anschauen zu können, bevor sie sich mit mir trifft am Donnerstag in ihrem Atelier, um mir ihre Arbeiten zu zeigen: Malerei, Zeichnungen, Siebdrucke. Außerdem hat sie noch ein Projekt Kunst am Bau in der Lindauerstraße, das kann ich mir vorher schon mal anschauen, und Filme hat sie auch gemacht. Einen Film über eine alte Dame in ihrer Nachbarschaft, einen Handyfilm über Obdachlose, der bei einem Festival in Warschau gezeigt wurde, und einen Film über polnische Putzfrauen in Berlin. Den Film über die Putzfrauen würde ich zu gerne mal sehen und den Handyfilm auch, weniger wegen der Obdachlosen, muss ich zugeben, als wegen der Machart. Hoffentlich überlegt Frau Pośpiech es sich nicht anders, wenn sie meinen Blog gelesen hat, denke ich schon während unseres Telefonats und hinterher überlege ich mir, worüber ich heute schreiben könnte, um einen guten Eindruck bei ihr zu machen. Ursprünglich wollte ich über Hila schreiben und das crèmefarbene Kopftuch, das sie heute getragen hat, die Enden des Tuches über der Brust drapiert, und als ich sie fragte, ob ihr das nicht zu warm ist bei dem Sommerwetter, da hat sie mich einen Zipfel des Tuchs befühlen lassen – Baumwolle, so leicht wie ein Hauch, habe ich darauf erstaunt gesagt und hauchdünn damit gemeint. Dann hatte ich noch was über Truman Capote, um aufzuklären, wie das gestern gemeint war mit der Katze, deren Neugier sie das Leben gekostet hat. Und in losem Zusammenhang damit noch was über einen Mann, mit dem ich immer den freundlichsten Umgang hatte, der mich heute aber so was von knapp gegrüßt und finster angeblickt hat dabei, dass mir mein erfreutes Hey!! Hallo! fast im Halse stecken geblieben ist. Die Mutmaßungen darüber, was bei ihm vorliegen könnte gegen mich, lasse ich wegen Frau Pośpiech lieber mal weg. Ist ohnehin besser, wenn ich, statt lange zu grübeln, ihn bei unserer nächsten Begegnung darauf anspreche. Und jetzt schreibe ich noch was über das Telefongespräch mit Karina Pośpiech, damit sie eine Vorstellung davon bekommt, wie es ist, wenn ich über sie schreibe. Ihr Name ist ein polnischer Name – sprich: Poschpiéch. Sie lebt seit 31 Jahren in Berlin. Da sind Sie ja nicht mehr Polin, sondern längst Berlinerin. – Sagen wir polnische Berlinerin, antwortet sie darauf und fügt sinngemäß hinzu: Ich bin sehr gerne Polin. - Pośpiech ist ihr Mädchen- und jetzt ihr Künstlername. Ihr bürgerlicher Name ist ein deutscher Name. Der Name ihres Mannes, mit dem sie zwei Kinder hat (13 und 18). Der bürgerliche Name wird nicht verraten, denn hier wird sie auftreten als Künstlerin. Von ihrer Facebook-Seite weiß ich, dass sie an der UDK studiert hat (Abschlussklasse 1991) und wie sie aussieht. Wenn ich nicht wüsste, wie alt sie ist, hätte ich sie aufgrund ihrer Telefonstimme auf Mitte 20, Anfang 30 geschätzt. Sie hat eine mädchenhafte Stimme und ein frisches, offensives Auftreten. So genau wie sie wollte es noch niemand von mir wissen, was es mit meinem Blog auf sich hat. Für wen schreiben Sie Ihren Blog? hat sie mich zum Beispiel gefragt. – Als sie mich mit dieser Frage überrascht hat, habe ich die Antwort noch nicht gewusst, weil ich mir die Frage so noch nie gestellt hatte. Ich habe mir immer nur überlegt, was ich tun kann, um noch mehr Leser zu bekommen. Aber das habe ich ihr erst später erklärt, dass das so ist. Erst mal habe ich mich ein wenig provoziert gefühlt von ihrer Frage und habe mit unterdrücktem aggressiven Unterton und der Gegenfrage geantwortet: Für wen machen Sie Kunst? – Da musste sie auch einen Moment überlegen und hat dann gesagt: Von der Altersgruppe her eher für Leute über 35 und sonst: für Leute, die sich für Kunst interessieren. – Unterdessen hatte ich mir klar gemacht, dass das für eine Künstlerin eine ganz selbstverständliche Frage ist, die sie mir gestellt hatte: die Frage nach der Zielgruppe. Und inzwischen hatte ich auch die Antwort gefunden darauf, für wen ich schreibe: Am Ende eher für Leute meines Alters als für 17jährige. Aber sonst, Frau Pośpiech, schreibe ich für alle. Ich schreibe, was ich will und wie es mir gerade einfällt, aber ich gebe mir Mühe, so zu schreiben, dass jeder es verstehen kann. Mein Ziel ist es, irgendwann mehr Leser zu haben als die Bild-Zeitung, sage ich lachend und meine das im Spaß, aber als Zielgruppendefinition ist es mein voller Ernst. Heute allerdings gibt es ausnahmsweise nur eine Zielperson. Ich hoffe, ich habe Sie erreicht und es bleibt dabei: Donnerstag, 12 Uhr, Kyffhäuserstraße, in Ihrem Atelier.