Gülcan heißt übersetzt letzte Rose, habe ich gedacht, aber jetzt stelle ich fest, es bedeutet so schön wie eine Rose. Der Name würde auch gut zu der jungen Frau im Kaiser Kiosk passen. Werde ich sie heute fragen können, wie sie heißt? – Als ich hinkomme, verabschiedet sie gerade eine Kundin, und ein junger Mann im Superman-T-Shirt betritt vor mir den Laden, ist also vor mir dran. Während ich darauf warte, dass er sagt, was er will, es kriegt und wieder geht, bewundere ich das kräftige Dunkelrot des Kopftuchs, das die junge Frau heute trägt, kombiniert mit einer Bluse in dem gleichen exquisiten Rotton. Sie ist eine der bestangezogenen Frauen im Kiez, denke ich - und ich werde wieder nicht erfahren, wie sie heißt. Denn der junge Mann im blauen T-Shirt mit dem rot-gelben Superman-Zeichen auf der Brust will anscheinend auch mit ihr sprechen. Er drückt sich zur Seite und gewinnt. Weil sie ihn gewinnen lässt, indem sie zuerst mich fragt, was ich möchte - Zigaretten? - Was sonst? - und sich dann mit ihrem schönsten Lächeln ihm zuwendet. Guter Typ. Etwas älter als sie. Das T-Shirt steht ihm.
Auf dem Nachhauseweg kommt mir jemand entgegen mit einer schwarzen Baseballkappe und einer verspiegelten Sonnenbrille, den ich erst erkenne, als er vor mir stehen bleibt und mir die Hand gibt. Hey, Oguzhan! Ihn könnte ich jetzt nach dem Namen der Frau mit dem Kopftuch fragen, aber das gilt nicht. – 14.50 Uhr. Er ist auf dem Weg zu seinem Laden, um Gülcan abzulösen. Hat ein Buch dabei. Einen Finger drin als Lesezeichen. Gerade gekauft und gleich zu lesen angefangen. – Was liest´n da? – Er zeigt mir den Titel. Verbotene Rhetorik (*). Den Untertitel kann ich ohne Lesebrille nicht lesen. – Geht um Manipulation, erklärt er. – Ich bitter: Ach, willst du dich weiterbilden? – Nein, nein, wehrt er ab, ich bin nicht so. – Ich glaube ihm das und mache dann eine Bemerkung über Leute, die manipulativ sind, die ich lieber nicht zitiere. In der Bemerkung geht es um Hass und die Eier abreißen und das führt natürlich zu nichts, außerdem bleibt dabei unberücksichtigt, dass nicht nur Männer manipulativ sein können. Aber Oguzhan versteht schon, was ich meine. Er kennt nämlich auch so Leute. Von dem Buch verspricht er sich einen Blick hinter ihre Kulissen. Wenn er es durchgelesen hat, will er es mir geben, sagt er. Das ist rührend von ihm, doch wie kommt er darauf? Liest er meinen Blog? Weiß er, dass ich mich mit so Leuten gerade herumschlage? Aber dann wird er bestimmt auch verstehen, dass ich nicht auch noch Fachliteratur lesen will über so Leute.
(*) Gloria Beck, Verbotene Rhetorik. Die Kunst der skrupellosen Manipulation