Einzahl oder Mehrzahl? Wird der Nachbar mir helfen bei der Gespensterjagd oder werde ich wieder einmal ganz auf mich gestellt sein? Werde wie immer alles alleine machen müssen, weil mein Mensch verwunschen ist, als Gespenst festsitzt da drüben und nun schon seit mehr als zwei Jahren wartet darauf befreit zu werden aus seinem Gespensterdasein.
Wie viel leichter wäre alles, wenn ich den Nachbarn gewinnen könnte dafür, mich zu unterstützen, alleine schon, um Zugang zu bekommen zur Wohnung, in dem es haust und spukt - es, das Gespenst, sie aka Contessa aka Tess, von mir bezeichnet als mein Mensch. Lange sie nicht mehr so genannt, vergessen die Bezeichnung aus Verbitterung, weil ich mir falsche Vorstellungen gemacht habe davon, was vorgeht in der Wohnung gegenüber.
Auch den Nachbarn verkannt, ihn schlecht gemacht, ein Zerrbild von ihm gezeichnet in meiner Ahnungslosigkeit. Wie kann ich da erwarten, dass er mir hilft? Und wie überhaupt ihm klarmachen, worum es geht? Denn der Mann glaubt doch genau so wenig an Gespenster wie ich. Also ihm erst gar nicht damit kommen. Andere Gründe finden, um das Gespräch fortzusetzen mit ihm; Gründe gibt es genug. Ich muss sie nicht erst erfinden, nichts muss ich erfinden. Und den richtigen Zeitpunkt muss ich abpassen. Auch wenn es mir schwer fällt, geduldig sein. Auf keinen Fall mehr ihn überrumpeln wie bei meinem ersten Besuch, als ich unangemeldet bei ihm vor der Tür stand, von der falschen Voraussetzung ausgehend, sie würde mir die Tür öffnen. Aber wie hätte sie das tun können in ihrer Lage (Verwunschenheit)? – Ihm schreiben? Zu umständlich. Ihn anrufen? Wann? Jetzt? Besser noch nicht. Heute Früh habe ich ihn gesehen, wie er, gerade erst aufgestanden, durch sein Wohnzimmer ging zum Fenster und es geschlossen hat mit zu viel Kraft. Hat er mich gesehen in meiner Wohnung? Wie ich da stand, gerade meinen Router eingeschaltet habe und dabei wie immer hinüber geschaut habe. Kurz überlegt, ob ich ihm zuwinken soll. Pflege der nachbarschaftlichen Beziehung? Ein Opportunistisches Verhalten wäre es gewesen, weil ich etwas von ihm will. Aufdringlich dazu. Am Ende denkt er noch, er kann keinen Schritt mehr tun in seinem Wohnzimmer, ohne dass er von mir beobachtet wird. Da können wir ja auch gleich zusammen ziehen, hätte er da vielleicht gedacht, sarkastisch, in seiner schlechten Laune, die er heute Früh offenbar hatte, als er durch sein Wohnzimmer stapfte, um das Fenster zu schließen. Vielleicht die schlechte Laune gekriegt in dem Augenblick, als er mich gegenüber hat stehen sehen. Ohnehin schon nicht gut auf mich zu sprechen nach dem, was ich geschrieben habe über meinen Besuch bei ihm und über seine Verlogenheit, die ich ihm unterstellt habe. Was ich überhaupt schon alles geschrieben habe und verbreitet habe über ihn. Ohne Nennung seines Namen. Doch er weiß, wer gemeint ist. Aber kann er sich dann nicht auch vorstellen, wie ich dazu kam, ihn so schlecht zu machen? Aus Hilflosigkeit und Unwissenheit. Letztlich alles nur Fiktion, was ich über ihn geschrieben habe. Mir einen Bösewicht geschaffen mit meiner Seifenopern-Phantasie. Das ist doch nicht er. Gemeint muss er sich trotzdem gefühlt haben. Und hätte mich das an seiner Stelle nicht auch wütend gemacht, diese Bösartigkeiten zu lesen über mich? So wütend, wie er heute Morgen zu sein schien bei meinem Anblick, als er mit viel zu viel Kraft das über Nacht gekippte Fenster geschlossen hat. Symbolische Geste? Absage? Du, bleib mir bloß weg! Ich war freundlich zu dir, ich habe dich angehört, ich habe dir zu helfen versucht. Und du, was hast du daraus gemacht? – Schlimm. Aber letztlich habe ich doch nur auf meine langsame Art verarbeitet unser Gespräch, bis ich endlich verstanden hatte, womit wir es zu tun haben da drüben: dass er mir noch so viele Fotos von Frauen hätte zeigen können, die in seiner Wohnung je zu Gast gewesen sind und die ich hätte meinen können, aber sie, die ich meinte, die ich so oft gesehen habe dort drüben, sie konnte nicht dabei sein, weil er gar nicht weiß, dass sie in seiner Wohnung zu Gast war und es immer noch ist (sic!) – und selbst wenn er es wüsste, hätte er mir kein Foto zeigen können von ihr, weil man nämlich von einem Gespenst kein Foto machen kann. – Abbitte! Hoffen, dass er noch einmal Verständnis zeigt für mich, so wie er mich verstanden hat bei meinem ersten Besuch. Ihm Zeit lassen. Den richtigen Moment abpassen. Und wenn es nicht mehr gut zu machen ist, wenn ich ihn für immer vergrätzt habe, dann alleine auf Gespensterjagd gehen. Jagd? - Befreiung ist es. Gespensterbefreiung. Und vielleicht hilft das Gespenst mir ja bei seiner Befreiung. Und sei es nur, indem es mir wieder erscheint.