Nachmittag des braven Mannes. Der war gestern. Heute Vormittag schreibe ich dazu einen Text, den ich beginne mit der Frage: Ist von meiner flammenden Leidenschaft für die Frau von gegenüber nur noch ein vor sich hin kokelnder Rest übrig? – Beweis: Mein Rückzieher von einem weiteren Versuch, dem Nachbarn auf die Schliche zu kommen. Versuch herauszukriegen, ob seine Freundin, von der er behauptet hat, dass es sie nicht gibt, in der Wohnung gegenüber polizeilich gemeldet ist und unter welchem Namen. – Gegenbeweis: Heute Nachmittag überlege ich mir, ob ich einen Rückzieher vom Rückzieher machen soll, nachdem ein Freund mich ermutigt hat, den Versuch doch zu machen, und meine Bedenken zerstreut hat, deretwegen ich ihn gestern abgesagt habe.
Damit ist der Text von heute Vormittag überholt, da ich, um den Erfolg der Aktion nicht zu gefährden, lieber für mich behalte, was das für ein Versuch ist. Daneben gibt es noch zwei andere Ansätze, die ich verfolge. Der eine sehr einfach, zu einfach; der andere sehr episch. Mein Favorit. Es ist jetzt schon abzusehen, dass nichts dabei herauskommen wird, aber was für ein Plot! Mehr, wenn es ein Ergebnis gibt. Das kann sehr schnell gehen. Es kann sich aber auch ewig lange hinziehen wie alles in der Geschichte vom Nachbarn und seiner Freundin, die es nicht gibt. Ich wünschte, ich wäre ihr nie begegnet und könnte dem Nachbarn glauben, dass es sie nicht gibt. Ich wünschte, ich hätte nie mit ihm gesprochen und würde ihn nur manchmal auf dem Dach über seiner Wohnung sitzen sehen, ihn immer noch für einen Flugkapitän halten und mir allenfalls überlegen, für welche Airline er fliegt, und mich wundern, dass ich ihn noch nie in seiner Pilotenuniform gesehen habe.
Ich wünschte, ich hätte diese Geschichte endlich vom Hals. Ich hasse Geheimnisse. Von allen dramaturgischen Kunstgriffen ist mir der mit dem Geheimnis immer als der billigste und nervigste vorgekommen. Schon mal bemerkt? Das gelüftete Geheimnis ist fast immer eine Enttäuschung. Was wegen der Erleichterung darüber, dass das Generve ein Ende hat, allerdings oft übersehen wird. Aber da ich das nun weiß, warum überlasse ich dann das Geheimnis der Frau von gegenüber nicht sich selbst? – Antwort: Weil ich nicht loskomme von der Überzeugung, dass das Lüften ihres Geheimnisses keine Enttäuschung sein wird. Und das ist das Verhängnis. Ein Verhängnis ist es und kein gutes Leben.