Die junge Frau an der Kasse der Back-Factory schaut in die Tüte, die ich ihr zum Bezahlen hinhalte. In der Tüte ein Baguette-Brötchen und eine Laugenbrezel. Ist das denn so schwer zu erkennen? Sie guckt und guckt und .. - wie nah soll ich ihr die Tüte eigentlich noch vor das Gesicht halten? - guckt und fragt: Mit was ist das belegt? – Belegt? Das Brötchen ist nicht belegt. - Nein? - Nein. - Erst nach einem weiteren Blick in die Tüte glaubt sie mir und ich komme nicht um den Altmännersatz herum: Sie sind so jung und haben schon so schlechte Augen. Ein Satz, der so dämlich ist, dass ich mich noch über ihn ärgere, als ich draußen vor dem Laden in die Brezel beiße, bevor ich das Schloss meines Fahrrads aufschließe und das Rad die Hauptstraße lang zum Kaiser-Kiosk schiebe. – Vorher jedoch noch, was mit den Augen der jungen Frau los war. Die sind nämlich zum Glück noch völlig in Ordnung. Daran zu erkennen, dass sie im Gegensatz zu mir mühelos zwischen einem Ein-Cent- und einem Zwei-Cent-Stück unterscheiden kann, als ich ihr 54 Cent hinzähle. Und warum kam es ihr so vor, dass das Brötchen belegt ist? Weil auf der Tüte ein belegtes Brötchen mit grünem Salatblatt abgebildet ist, und angestrahlt vom hereinfallenden Licht der Juni-Sonne schien das Salatblatt so durch das Papier - wurde gewissermaßen ins Tüteninnere auf das darin befindliche Brötchen projiziert -, dass die junge Frau glaubte, ein Salatblatt zu sehen, und feststellen wollte, mit was das Brötchen noch belegt ist, Mozzarella oder Schinken oder was sie sonst noch auf die Brötchen legen in der Back-Factory. Optische Täuschung. Versehen.
Im Kaiser-Kiosk arbeitet die junge Frau mit dem Kopftuch; dieses Mal großgeblümt. Heute frage ich sie, wie es ihr geht. Sonst eröffnet sie mit dieser Frage unser kurzes Gespräch, das meist darin besteht, dass wir beide die Wie-es-geht-Frage wahrheitsgemäß beantworten. Oft ist es so, dass es uns beiden gerade ganz gut oder nicht so gut geht, aber am Vortag besser oder schlecht gegangen ist. Heute geht es uns beiden gut und außerdem stellt sich heraus, dass sie auch raucht. Hätte ich jetzt nicht gedacht. Doch sie bestätigt es mit bedenklicher Miene und deutet dann hinter sich auf das Zigarettenregal und die Packungen mit ihrer Marke (L&M Red Label). Wir sind uns einig, dass man nicht alles richtig machen kann im Leben, man muss auch Fehler machen. Da ich die gute Stimmung nicht verderben will, unterdrücke ich die Bemerkung, dass ich den Fehler mit den Zigaretten schon viel zu lange mache. Ich wüsste allerdings nicht, was ich anderes kaufen könnte in dem Laden, wenn ich nicht mehr rauchen würde, und dann würde ich die junge Frau mit dem Kopftuch nicht mehr sehen, und das würde mir fehlen. Denn sie hat so eine unangestrengte stolze Art und manchmal sogar einen kleinen Humor. Im Hinausgehen bedaure ich, dass ich wieder nicht dazu gekommen bin, sie nach ihrem Vornamen zu fragen, und während ich mein Fahrrad neben mir her schiebend weiter zu Videoworld gehe, fallen mir Frauen ein, die vielleicht auch mal Kopftuch tragen sollten.
Bei Videoworld arbeiten heute Tobias, der sich zur Zeit auf sein Medizin-Staatsexamen vorbereitet, und ein anderer junger Mann, auf den ich noch zurückkommen werde. Ich frage Tobias, ob er den Film von Tom Tykwer, Drei, gesehen hat. Würde mich mal interessieren, wie ein anderer den Film erlebt hat. Ich fand ihn nämlich grottenschlecht, so schlecht, dass ich nach 30 Minuten aufgehört habe zu gucken, und das muss jetzt endlich mal gesagt werden. Ich wollte mir den Film vor allem deshalb angucken, weil Sophie Rois mitspielt. - Au ja, die ist gut, sagt Tobias, der den Film nicht gesehen hat. – Ja, sehr gut ist die, aber in diesem Film kann man sehen, dass sie keine Filmschauspielerin ist. Als Bühnendarstellerin ist sie genial, mit ihren Verrenkungen im Menschlichen, die sie drauf hat. Doch im Film muss sie naturalistisch spielen, und da ist sie so gut wie jede andere und das heißt im Fall von Tom Tykwer, Drei, so schwach wie alle anderen. – Wir sprechen dann noch darüber, wie der Film hochgeschrieben worden ist von der Filmkritik, was auch funktioniert hat, denn bei Videoworld läuft er sehr gut. Alle acht Kopien ständig ausgeliehen.
Der Kollege von Tobias ist inzwischen fertig mit dem Abstauben der Regale und sagt, der Film heiße Drei, weil man ihn schon nach drei Minuten abschaltet. Der Kollege ist mir bekannt aus der Videoworld-Filiale am Innsbrucker-Platz und – darauf weist nun er hin – von seiner Tätigkeit bei Getränke Hoffmann. - Stimmt. Und danach habe ich dich eine Zeit lang am Wochenende in Bundeswehruniform durch den Kiez gehen sehen. - Auch in seiner Bundeswehrzeit habe er noch manchmal bei Getränke Hofmann gearbeitet, sagt er, aushilfsweise, am Wochenende, mit seinen Uniformhosen an. Und dann erzählt er Tobias – warum jetzt eigentlich nicht mehr mir? -, dass er vor Getränke Hoffmann in einem Elektrogeschäft gearbeitet hat, das es jetzt nicht mehr gibt. Fernseher und Mülleimer haben sie da verkauft. - Mülleimer? frage ich, obwohl er das nicht mehr mir erzählt. – Nein, nicht Mülleimer, korrigiert er sich. Staubsauger. - Ich denke an die junge Frau in der Back-Factory und an ihr Versehen mit dem Brötchen und dem Salatblatt. Aber Mülleimer statt Staubsauger ist auch nicht schlecht. Sprachliches Versehen.