Sonntag, 19. Juni 2011

Spiritualität

The Tree of Life. Der neue Film von Terence Malick ist im Odeon angelaufen. Erinnerung an die Berichterstattung aus Cannes, wo er den größeren Teil des Fachpublikums umgehauen, den anderen Teil wütend gemach hat. Die Filmkritik von Diedrich Diederichsen in der taz. Ich bemerke amüsiert und gerührt, dass der verehrte Pop-Professor offenbar auch ein prägendes Kindheitserlebnis mit dem Bildband Die Welt in der wir leben hatte. Und sonst habe ich mir das schon so gedacht: Spirituelle Hochstimmung. Kinokathedrale. Eindeutigkeit eines Gottesdienstes. Schön ist die Formulierung: bestdirigierte Mahler-Symphonien im Zusammenhang Soundtrack von The Tree of Life. Beim Nachlesen stelle ich fest, dass DD geschrieben hat: wohldirigierte Mahler-Symphonien. Ich bleibe bei bestdirigierte. Gehe heute Nachmittag nicht ins Kino. Schaue mir den Film ein andermal oder auf DVD an, was bei der zu erwartenden Bilderpracht ein Frevel ist. Spiritualität im Kino finde ich albern. Fehl am Platz. Dafür gibt es Tempel, Synagogen, Moscheen, Kirchen, Waldlichtungen, Berggipfel, Seeufer, LSD und Lyrik. Ich versuche es mit einem Doppelklavierkonzert von Rachmaninov mit Martha Argerich in einer der beiden Hauptrollen. Klappt nicht. Heute nicht. Ich suche in der Beltzigerstraße 25 die Wohnung des Künstlers dieser Woche - wenn er es sein wird. Denn erst mal muss ich den Kontakt zu ihm herstellen und an der Haustür finde ich nicht seinen Namen. Weil der offenbar ein Künstlername ist und seinen Klarnamen kenne ich nicht. Ich gehe zu Videoworld und leihe mir einen Film aus, der garantiert spiritualitätsfrei ist. Wenn auch nicht frei von Philosophie. La philosophie dans le boudoir. Da ist sie gut aufgehoben, die Philosophie, im Schlafzimmer. Aber im Kino hat sie nichts verloren. Bergman, lächerlich (ausgenommen Das siebente Siegel und Fanny und Alexander). Tarkowski, öde (ausgenommen Andrej Rubljow). Das mit der Ernüchterung (Posting Feedback von heute Mittag), soll ich das erklären? Alles ist gesagt, nur das noch nicht. Unterwegs fange ich schon an Sätze zu formulieren darüber, was es mir erzählt hat von ihr, als ich ihn kennengelernt habe. Ich schlage mir das aus dem Kopf. Ich freue mich wie jedes Mal, in der Back-Factory die dunkelhaarige junge Frau mit dem dezenten Nasenpiercing zu sehen, ich vermeide es wie jedes Mal mit ihr zu flirten. Ich mache Sinan ein zwiespältiges Kompliment, als ich sage, mit seinen frischgeschnittenen Haaren sieht er wie ein kleiner Junge aus. Dabei erfahre ich, dass er nicht erst 30 ist, sondern im September 36 wird. Ich überlege, ob ich in der Wohnung gegenüber anrufen soll, heute nicht in der Erwartung, dass sie drangeht, das macht sie ja doch nicht (muss man sich mal vorstellen, sie geht nicht ans Telefon), sondern ich würde erwarten, dass er drangeht, ihr Freund. Ich könnte ihn fragen, ob er sich noch an unser Gespräch erinnert über seine Freundin, in dem er sagte, dass es sie nicht gibt, und wenn er sich noch daran erinnert, könnte ich ihm erzählen, dass ich sie letzten Donnerstag auf seinem Balkon habe sitzen sehen und sogar hergeguckt zu mir rüber hat sie. Natürlich würde er wieder irgendetwas grotesk Ausweichendes antworten. Aber was, das würde mich schon interessieren. Doch ich schlage mir das aus dem Kopf. Weil es macht mir keinen Spaß mit ihm zu tun haben. Auf jeden Fall so lange nicht, wie ihm nichts anderes einfällt, als mich zum Deppen machen zu wollen. Dazu brauche ich ihn nicht. Das kann ich besser. Und schon bin ich wieder bei dem, was es mir erzählt, dass sie mit ihm zusammen lebt, dass das ein Teil ihres Lebens ist, wie er ist, und ich weiß jetzt, wie er ist. Ich schlage sie mir aus dem Kopf.