Dienstag, 28. Juni 2011

Hand

Vor dem Schuhladen, in dem auch Kleider verkauft werden, steht eine junge Frau mit hochgesteckten roten Haaren in der Sonne und will nicht, dass ich über sie schreibe. Zumindest nicht, dass ich ihren Namen nenne, wenn ich über sie schreibe, denn dass ich schreiben kann, dass ich mit meinem Fahrrad zu dem Laden gefahren bin und mit ihr mich unterhalten habe, das sieht sie ein. Sie stand in meinem Leben rum, ich bin nicht in ihr Leben eingedrungen wie der Stalker, mit dem sie es gerade zu tun hat. Kerl, der ständig bei ihr anruft und mit dem sie schon genug Ärger hat. Mit mir kriegt sie keinen Ärger. Um sie zu anonymisieren, sie unkenntlich zu machen, behaupte ich, dass sie rote Haare hat, obwohl es nicht stimmt. Wenn ich nicht so weit weg von ihr gestanden hätte und meine Ohren gespitzt hätte, wüsste ich sogar ihren Namen und könnte jetzt beweisen, wie korrekt ich bin, indem ich ihn nicht nenne. Den Namen hat sie mir nämlich genannt, als sie mir von ihrer Website erzählte. Jetzt kann ich meine Korrektheit nur beweisen, indem ich verschweige, mit welchem kreativen Beruf sie sich auf ihrer Website präsentiert. Bisher noch erfolglos, da es in Berlin viel zu viele junge Frauen gibt, die in diesem Beruf arbeiten möchten; andererseits steht sie noch ganz am Anfang, hat erst vor einem Jahr ihre Ausbildung abgeschlossen, eine Fortbildung angehängt, und ist gerade dabei, sich zu positionieren, um ins Geschäft zu kommen. Sich zu positionieren. Zu solchen Formulierungen kommt es, wenn man alles sagen will und nichts sagen darf. Was darf ich erzählen? – Dass sie zuerst stolz und gerne von sich erzählt hat, unverkrampft drauflos. Nur ein Mal hat sie innegehalten und hinüber geschaut zu den jungen Männern, die vor dem Café nebenan saßen. Die hören zu, hat sie mir zugeraunt. – Die bewundern Sie und jetzt hören sie Sie zum ersten Mal reden. – Nein, nein, hat sie darauf gesagt. – Inwiefern nein, nein, das hat sie nicht erklärt. Wahrscheinlich wollte sie damit sagen, dass sie mit den jungen Männern schon geredet hatte, bevor ich angekommen bin und vor dem Laden gehalten habe, weil mir Brigitte Stamm von der Galerie für junge KünstlerInnen ihn mir genannt hatte. Das habe ich der rothaarigen Frau, die gar nicht rothaarig ist, erzählt, und habe dabei gelogen. Ich habe nämlich gesagt, dass ich Brigitte Stamm nach Läden in der Goltz gefragt habe. Tatsächlich hatte ich ihr erzählt, dass ich möglicherweise ein Generationskluft-bedingtes Verständigungsproblem mit Frauen um die 34 habe und dass ich dem mal nachgehen will. Darauf meinte sie, da müssen Sie in die Modeläden in der Goltzstraße gehen, da treffen sie solche Frauen, und hat mir gleich zwei solche Läden genannt. Vor dem einen stehe ich jetzt an mein Fahrrad gelehnt, rede mit der jungen Frau, die in der Sonne steht, um ihre roten Haare für die jungen Männer im Café zum Leuchten zu bringen, während sie Pause macht - von was, kann ich wegen der Korrektheit nicht sagen. Und angelogen habe ich sie, weil ich es für möglich hielt, mit der rothaarigen jungen Frau eine der gesuchten 34jährigen vor mir zu haben und weil ich ihr nicht ihre Unbefangenheit nehmen wollte, indem ich ihr von vornherein klar mache, dass ich in ihr nichts anderes als einen Forschungsgegenstand sehe. Die Verständigung mit ihr war dann jedoch so unkompliziert, dass ich es schon bald ausgeschlossen habe, dass die rothaarige junge Frau zu der für mich problematischen weiblichen Kohorte zählt. Die Verständigung war so, dass sie mir, nachdem sie mir von ihrem schönen Beruf erzählt hatte und von dem Brot-und-Butter-Job, den sie hat, um sich ihren Beruf leisten zu können, bestimmt auch noch ihr Alter genannt hätte (ich tippe mal 27, 28, wenn sie alt ist, 30). Doch dann ist an einer Gesprächsstelle das böse Wort Blog gefallen, und da hat sie ihre Hände abwehrend in meine Richtung gehalten und NEIN gesagt. Auf keinen Fall! Bloß nicht! Schon genug Ärger wegen des Stalkers! Und beschwörend, begütigend, vielleicht auch ein wenig berechnend oder doch nur ganz unschuldig besänftigend hat sie ihre Hand kurz auf meine den Fahrradlenker haltende Hand gelegt und hatte es auf einmal ganz eilig, ihre Pause zu beenden. Nach der Adresse meines Blogs hat sie mich noch gefragt. Und als sie weggehen wollte, ist einer der jungen Männer vom Café herüber gekommen und hat ihr einen  großen Happen Sandwich gebracht mit Rührei, Schinken und Tomate drauf. Den hat sie ohne zu zögern angenommen und sich bei dem jungen Mann mit einem Lächeln bedankt. Während unseres Gesprächs, im vorderen Teil, als sie noch so unbefangen war, hat sie mich gemustert – unauffällig, was natürlich nicht geht. Dabei verweilte ihr Blick lange auf meinen nackten Zehen in den Sandalen und ich brauchte gar nicht hinzugucken, es war mir sofort klar: Ich muss mir dringend die Zehennägel schneiden. Das mache ich jetzt gleich. Aber vorher möchte ich mich noch für ihren unauffälligen Hinweis bedanken. Mit einem Rat: Wenn Sie wieder einmal in der Sonne stehen und ein Kerl wie ich kommt an, dann nutzen Sie den Kerl schamlos aus. Spielen Sie mit ihm, steuern Sie ihn, zeigen Sie sich ihm, wie Sie gesehen werden wollen. Verschaffen Sie sich einen Auftritt! Sie müssen sich nur zeigen, dann frisst er Ihnen aus der Hand (schreiberisch). Und wenn Sie einen guten Tag haben und er einen guten Tag hat, dann macht er Sie berühmt. Nicht nur für 15 Minuten, sondern für immer. Denn das Internet vergisst nichts. Machen Sie etwas daraus, statt in Panik zu geraten.