Mittwoch, 26. Januar 2011

Schrecken

Produzent Bernd Eichinger gestorben. Diese Meldung lese ich nach dem Abendessen, als ich ins Internet gehe und wie immer zuerst die Seite von SPON aufrufe. Es ist einer der Momente, in denen ich vor mich hin murmle: Ach jaaa! – Ach jaaa heißt? – In dem Fall: Ach jaaa, sterben kann der also auch. – Das keine Schnoddrigkeit, wäre auch seltsam, weil schnoddrig ist immer für die anderen, und ich bin schließlich gerade alleine. Das Ach jaaa, sterben kann der also auch, weil er so ein Kraftstrotz war als Mensch und als Produzent - mit unzähligen Filmen, von denen ich außer Wir Kinder vom Bahnhof Zoo allerdings keinen wichtig fand, aber Respekt habe ich trotzdem gehabt vor ihm und seiner Arbeit - und weil er mal mit Hannelore Elsner zusammen gewesen ist und mit Katja Flint. An einem Herzinfarkt gestorben in Los Angeles beim Essen in einem Restaurant, Mitten drin in der Arbeit am Drehbuch über die Lebensgeschichte von Natascha Kampusch, deren Rechte er erworben hatte, sie möglicherweise vor der Nase weggeschnappt hat dem Nico Hoffmann, der dem Vernehmen nach auch dran war. Alleine daran wird das Großformat von Bernd Eichinger deutlich, wenn man sich neben ihm vorstellt den jüngeren Nico Hofmann von Teamworx, der auch eine Karriere gemacht hat mit dem publikumswirksamen Plattmachen großer Erzählstoffe. Auch eine starke Persönlichkeit; nachdem Nico Hofmann seinen Weg gemacht hatte, war das Fernsehen nicht mehr wiederzuerkennen. Während Bernd Eichingers Produktionen immer noch wie Kino aussahen. Für deutsche Verhältnisse sogar wie großes Kino. Bruno Ganz den Hitler spielen zu lassen - Hitler durch die Besetzung mit Bruno Ganz zu vermenschlichen - bleibt allerdings auch nach seinem Tod unverzeihlich (*). Gäbe es eine Hölle, würde Eichinger da seit gestern sitzen und müsste sich in der Endlosschleife anschauen, wie Hitler seinen Schäferhund streichelt. Braver Hund! Immer wieder und wieder: Braver Hund!
Keine Überleitung, obwohl sie leicht gewesen wäre, weil der Peter gleicher Jahrgang ist wie Bernd Eichinger und sich auch so sehr für den Fall Kampusch interessiert hat. Außerdem habe ich zu Beginn unseres Telefongesprächs (vor der Eichinger-Meldung) gefragt, warum er so schnauft und was eigentlich mit seinem Herzen ist. – Er: Herz ist gut. – Ich: Kurzatmigkeit kann nämlich auch vom Herzen kommen – Doch er: Nein, mein Herz ist gut. – Hat auch so schon genug Leiden, der Peter. Gestern allerdings nichts zu beklagen. Nicht nur das Herz auch alles andere gut. Dafür geht es mir schlecht und ich bin schon kurz davor, darüber zu reden, damit es mir leichter wird. Doch dann reden wir über vegetarische Ernährung und die Motive, die es dafür geben kann. Ein Motiv, von dem ich mal gehört habe: Die Scheiße stinkt nicht so, wenn man kein Fleisch ist. - Von da kommen wir auf die Gründe, die es wiederum dafür geben kann, dass die Scheiße nicht so stinken soll. Dabei streifen wir zum ersten Mal das Thema AIDS. Kommen danach auf die Musik der Tuareg zu sprechen und ich nehme das zum Anlass, Peter zu fragen, ob er Bruce Chatwin kennt, weil ich gerne mal wieder über Bruce Chatwin reden würde. Das gelingt, da Peter Chatwin nur dem  Namen nach kennt. So kommen wir wieder zurück auf das AIDS-Thema, weil Bruce Chatwin an AIDS gestorben ist, aber seiner Familie war das peinlich und dann wurde so getan, als sei die Todesursache mysteriös (gestorben nach dem Verzehr eines Tausendjährigen Eis, das schon ein paar Tage über dem Verfallsdatum war? Haha!).  – Peter meint, bei Rio Reiser (Macht kaputt, was euch kaputt macht) sei das genauso gewesen mit der Vertuschung der AIDS-Todesursache. – Hatte der AIDS? Ich habe neulich gelesen, dass er an Herzversagen gestorben ist. – Peter lacht. – Dafür weiß er nicht, dass Rio Reisers sterbliche Überreste von dem jüngst verkauften nordfriesischen Bauernhof, auf dem er beerdigt ist, nach Berlin gebracht werden sollen – auf meinen Lieblingsfriedhof in der Großgörschenstraße, wo auch die Brüder Grimm begraben sind und sehr viele Leute aus der Schöneberger Schwulenszene, die in den 80er und 90er Jahren an AIDS gestorben sind. Darauf erzählt Peter, dass er in der Zeit, in der er als Gruppenleiter bei der Aidsberatung arbeitete, weit mehr als hundert Mal Menschen begleitet hat beim Sterben, indem er in den letzten 24 Stunden vor ihrem Tod bei ihnen war. Zu einigen der Sterbenden hatte er eine persönliche Beziehung aufgebaut, während er sie von Amts wegen betreute. Bei anderen fühlte er sich beruflich zur Anwesenheit verpflichtet, weil sonst niemand bei ihnen gewesen wäre, als sie starben. Peter sagt: In der Zeit hat der Tod seinen Schrecken verloren für mich. - Und deshalb hat er auch keine Angst gehabt vor dem Sterben in den Monaten, als es nicht klar war, ob er seine Krebserkrankung überstehen würde: Weil Tod für mich nichts Unbekanntes war. Weil ich weiß, was beim Sterben passiert. – So hat er es noch nie erzählt und zum ersten Mal nehme ich es ihm ab, dass er keine Todesangst hatte damals. Aber: War es nicht so, dass du damals die Lebensbedrohung auch verdrängt hast? Und dass dich das dann Monate später eingeholt hat und zum Auslöser für deine Lebenskrise wurde? – Das kam daher, dass ich dann die Geschichte mit Nora hatte. – Und du auf einmal wieder am Leben gehangen hast? – Ja. Ich wollte sie sogar heiraten, damit sie meine Pension kriegt. So sentimental war ich. – Ist das sentimental? Ist das nicht einfach nur praktisch gedacht? – Praktisch und sentimental. So wie Peter denkt, wenn er sentimental ist. – Danach, wie er durch die Liebe zu Nora eingeholt wurde von der verdrängten Todesangst, muss ich ihn aber noch mal fragen. Gestern war dazu keine Zeit mehr. Da haben wir uns nur noch gegenseitig gesagt, wie froh wir sind, dass wir kein AIDS haben, und ich war außerdem noch froh, dass wir über alles Mögliche gesprochen haben, nur nicht darüber, warum es mir gestern so schlecht gegangen ist.

(*) Seine Selbstverteidigung siehe Nachruf in der New York Times am Ende des Artikels.