Sonntag, 16. Januar 2011

Gelöst

Was heißt hier eigentlich: mich im Alleinsein einrichten? – Ich telefoniere täglich mit Peter. Etwa eine Stunde. Ich bin für ihn derjenige, dem er alles sagen kann, weil ich nicht so moralisch bin wie seine Skype-Freundinnen. Die machen ihm Vorhaltungen. Ich erinnere ihn nur immer wieder an die Tatsachen. Streng bin ich. Aber nicht moralisch, sagt Peter. Gut, dass mir das mal jemand bestätigt. - Jetzt muss allerdings noch geklärt werden, ob das besondere Vertrauensverhältnis auch gegenüber dem Blog gilt. Darf der Blog auch alles wissen? - Bernd, der Raucher auf der Straße, war gestern Nachmittag Raucher vor dem Felsenkeller. Ihn erinnert an den Neujahrstag, als er noch ganz berauscht war von seiner  rauschenden Silvesternacht, in der er so gelöst war. So gelöst. Gelöst. Gelöst. Immer wieder hat er es gesagt. – Und wie kam´s? Wo warst du? – Wo genau er war, stellt sich heraus, war nicht so wichtig. Entscheidend war, dass er  n i c h t  in Dänemark war mit seiner Frau und seiner Tochter wie seit Menschengedenken, weil die Tochter erwachsen und bei ihrer eigenen Feier und die Frau zwei Tage vorher ausgezogen und weg wahrscheinlich für immer. – Das Fernsehgerät hat sie auch mitgenommen. Jetzt freut Bernd sich auf das Leben ohne TV-Programm. Hat einen Stapel Bücher neben die Badewanne gestellt und sich vorgenommen, nun endlich Infinite Jest zu lesen. Roman von David Foster Wallace, den ich ihm empfohlen habe, den er sich auch gekauft hat, dann sich aber nur beklagt darüber, dass das Buch so dick ist, und woher soll er die Zeit nehmen, das alles zu lesen. - Zeitungsmeldung von neulich: Fernsehkonsum in deutschen Haushalten nicht rückläufig, wie erwartet. Im Gegenteil. – Wie denn das? – Die Gesellschaft altert. Die Paare altern. Was bleibt dann noch zu tun, wenn man nicht gerade in Dänemark, auf der Mittelmeerinsel oder in Südindien in Urlaub ist? Gemeinsam fernsehen zum Beispiel. – Da ist der Mann zu Hause und nicht in der Kneipe. Und die Fehler, die machen die anderen (Politiker, Sportler, Opfer, Täter, Kommissare, Clowns, Moderatoren). Das mal sehen: die Bedeutung gemeinsamen Fernsehens als Paaraktivität. – Am Ende nachgebohrt, ob Bernd denn wirklich nur froh ist über den Auszug seiner Frau? – Er versucht, nicht darüber nachzudenken, sagt er kurz angebunden, aber wie immer ehrlich, und verschwindet im Felsenkeller. Wahrscheinlich will er vermeiden, seine Äußerungen in meinem Blog wieder zu finden. Schon passiert. – Auch noch gestern: Anruf bei einer Freundin, die Geburtstag hatte. In den vergangenen Jahren habe ich sie immer angetroffen am frühen Morgen. Gestern dreimal AB, auf dem ich schließlich unwillig eine Nachricht hinterlasse. – Sie ist eine gemeinsame Freundin vom Schlub und mir. Vorstellung, dass sie meinen Anruf vermeiden will, um nicht in meine Geschichte mit dem Schlub hineingezogen zu werden. Dabei hatte ich mir vorgenommen, mich nicht zu äußern über den Schlub, wenn sie mich nicht auf ihn anspricht. Kann aber auch sein, dass sie mit Kindern, dem Lebensgefährten und engsten Freunden verreist ist, weil sie keine Lust hatte auf das große Fest, das von ihr erwartet wurde an ihrem 50. Geburtstag. Ich werde sie in den nächsten Tagen noch mal zu erreichen versuchen und ihr die Adresse meines Blogs zum Geburtstag schenken, mit dem Zusatz: Was ich in dem Blog schreibe, ist eigentlich so, dass ich mich dafür schämen müsste. Das Besondere an dem Blog ist, dass ich es nicht tue. – Die Aussage charakterisiert die Freundin und das Verhältnis, das wir zueinander haben. Es ist so, dass ich mit ihr auf diese Art rede - und: mit ihr nicht meine Geschichte mit dem Schlub durchhecheln  will. Weshalb sie meinetwegen nicht hätte wegfahren müssen und gestern ruhig ans Telefon hätte gehen können. Ich bin albern, weil gut gelaunt. - Heute Vormittag: Das neue Tess-Kapitel. Fortsetzung folgt in den nächsten Tagen. Das gute Gefühl dabei, dass es der Tess recht ist, was ich schreibe. Der Professor wird es hassen. Aber da kann ich nur mein Angebot wiederholen: Wenn ich ihm Unrecht tue - Kommentar, Gastbeitrag, Anruf. Alles ist möglich. Komisches Gefühl, das ich auch noch habe: Dass ich mit dem Professor eher ins Gespräch kommen werde als mit der Tess.