Montag, 10. Januar 2011
Angekettet
Vormittags über den Schlub und mich. Und jetzt wieder nichts über Peter. Nur, dass er eine wichtige Woche vor sich hat mit Terminen am Donnerstag in der Charité, MRT seiner beiden Knubbel am Hals, und anschließend Diagnose im Virchow-Klinikum. Mehr nicht über Peter, weil mir dazu die Konzentration fehlt. Weil es am Nachmittag eine Szene gegeben hat in der Wohnung gegenüber, die unbedingt beschrieben und analysiert werden müsste. – Müsste? – Ich habe keine Lust dazu, obwohl die Szene außerordentlich gut gemacht war. Abgefahrene Szene. Trotzdem: Ich will nicht. Blöd insofern, weil irgendwann in den nächsten Tagen werde ich sie doch beschreiben müssen. Werde ich auch den Lesern erklären müssen, warum ich keine Lust mehr habe, diese oder eine andere Szene zu beschreiben, die sich in der Dachwohnung gegenüber ereignet. Besser, ich würde die Szene beschreiben, so lange der Eindruck noch frisch ist. Aber ich will nicht. Ich will nicht. Ich will nicht. Heute nicht. Ich bin es leid. Ich werde müde alleine schon bei dem Gedanken an die Sätze, in denen ich wieder mal nicht weiß, ob das die Tess war, die da stand und – unverwandt – rüber geschaut hat zu mir, regungslos da stand, als ich mein Telefon in den Telefonport im hinteren Zimmer stellte. Oder ob es die Professor-Frau aus London war. Wegen des Halbdunkels im Zimmer habe ich nämlich nicht erkennen können, ob die da stehende Frau in einem dunkelgrünen Pullover lange Haare hatte oder kurze wie die Tess neuerdings. Ich bin es auch leid, mal wieder darauf hinzuweisen, wie unerklärlich es mir ist, dass die immer genau wissen, wann sie mit ihrer Darbietung beginnen müssen, also wann ich im hinteren Zimmer sein werde. – Die? – Die Tess oder die Professor-Frau. Und der Professor. Der Professor, der - jetzt beschreibe ich die Szene doch – just in dem Augenblick auftauchte, als ich an mein Fenster trat und der unverwandt zu mir herüber schauenden Frau mit einem Handzeichen – mehrfaches Tippen der mittleren Finger gegen den Daumen - signalisiert habe: Lass uns reden! – Nachdem ich das gemacht hatte, ohne dass die Frau in dem grünen Pullover auch nur die geringste Reaktion gezeigt hatte, ist überraschend der Professor aufgetaucht. Aus dem Nichts – tatsächlich aber aus der Versenkung ist er aufgetaucht. Er muss vorher am Boden gekauert haben und hat sich dann zu seiner vollen Größe erhoben vor der hinter ihm stehenden Frau und vor meinen Augen und dann zu mir rübergeblickt. Die da stehende Frau muss vorher zu ihm gesagt haben: jetzt gibt er mir Zeichen – und darauf hat er sich aufgerichtet, denn so wie er da zunächst kauerte, konnte er mich nicht sehen. – Abgefahren! – Trotzdem, ich bin es so leid. Denn nun müssten als nächstes die Sätze mit den alternativen Deutungen kommen. Soll ich? Muss ich? – Kurz: Wenn die Frau nicht die Tess war, dann könnte es sein, dass er mir zeigen = sagen wollte, dass er mit all dem, was mit der Tess und mir nicht so läuft, wie ich es mir wünsche, dass er mit all dem nichts zu tun hat. Und: dass ich ihn aus dem Spiel lassen soll und aufhören, weiter über ihn zu schreiben. Wenn das so sein sollte: Nichts lieber, Herr Professor! – Wenn es aber die Tess war und nicht die Professor-Frau aus London, dann gibt es wiederum zwei Möglichkeiten. A) Der Klassiker: Da bin ich, da ist der Professor. Ich kann dich nicht treffen. Wir können nur das Spiel mit deinem Schreiben und meinem Licht spielen. - Diese Botschaft mal wieder fällig gewesen, weil ich ihr gestern geschrieben habe, dass ich die Geschichte mit ihr leid bin. Dass ich sie nicht fortsetzen möchte, wenn die Geschichte nicht bald weitergeht damit, dass wir endlich bekannt werden miteinander. Und dass ich auch nicht mehr über die Geschichte schreiben will, wenn sie immer nur weiter in sich kreist. Dass ich nicht der Typ sein will, der so eine Geschichte erlebt, die immer nur in sich selbst kreist. Und dass ich nicht der Typ sein will, der über so eine Geschichte schreibt. Womit wir bei Deutungsmöglichkeit B) sind: Die Tess will, dass ich weiter an sie/weiter über sie schreibe. Deshalb hat sie mir heute richtig was geboten. Ein Schreibangebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte. Und der Professor hat da mitgespielt? – Nä! Oder doch? - Das ist ein Grund, warum ich es so leid bin. Diese ständige Undurchsichtigkeit. Diese ständige Verwirrung. Das ewige Multiple Choice. Der andere Grund: Zwei Jahre, nachdem wir aufeinander aufmerksam geworden sind, weiß ich immer noch nicht ihren richtigen Namen. Deshalb habe ich ihr gestern geschrieben, ich will nicht mehr, wenn wir uns nicht endlich kennenlernen und wenn es immer nur so weiter geht mit Begegnungen, bei denen sie gleich wieder verschwindet und außer einem Blick, den ich hinterher nicht aus dem Kopf kriege, ist nichts gewesen. Gleich, wie eindrucksvoll der Blick war, es war nur ein Blick. Und gleich, wie sehr ich mich gefreut habe, sie endlich einmal wieder aus der Nähe zu sehen, es ist nichts daraus gefolgt. Es sollte auch nichts daraus folgen. Das ist mir am Wochenende klar geworden. Und weil mir auch noch etwas anderes klar geworden ist durch eine Beobachtung, die ich Samstag auf Sonntag gemacht habe – dass die Tess vielleicht gar nicht so gefangen ist beim eifersüchtigen Professor, wie es mir immer vorkommt, sondern dass sie macht, was sie will, nur nicht mit mir -, deshalb habe ich ihr gestern zum Schluss noch das geschrieben: Tess, ich habe auch keine Lust mehr, ständig danach zu schauen, ob das Licht an oder aus ist und wie sehr es an ist. Ich komme mir dabei vor wie ein im Hof angeketteter Hund, der sehnsüchtig zu dem Haus schaut, in dem sein Herrchen wohnt oder das kleine Mädchen, dessen Lieblingstier der Hund ist. Wenn ich noch lange weiter nach dem Licht gucke, fange ich eines Tages noch an zu winseln oder heule voll enttäuschter Sehnsucht den Mond an, wenn ich wie gestern Abend wieder mal das Gefühl haben sollte, dass das kleine Mädchen mich an der Nase herumführt.