Mittwoch, 5. Januar 2011

Innig

Anneli fragen. Stephanie fragen. Nach dem Schlub. Wie haben sie ihn gesehen als Freund von mir? Wie haben sie ihn überhaupt gesehen? Stephanie hat es neulich schon bemerkt: Das mit dem Konkurrieren, dem albernen, das hat es immer gegeben zwischen euch beiden, meinte sie. Annelis Erinnerungen reichen weiter zurück als die Stephanies. 1984, Sommer. Die magische Nacht im Exil. Im hinteren Raum saß André Heller und hat mit seiner Entourage Wiener Kinderlieder gesungen, den Erfolg seines Feuerwerks am Reichstag feiernd; und hinter uns, wir standen an der Bar, hockte Boy Gobert an einem Tisch und hat geknutscht mit einem sehr jungen Mann. Der Schlub wurde in dieser Nacht von der Frau von Ossi Wiener zum Butzelbär erklärt, und wie es aussah, hätte sie ihn am liebsten mitgenommen. Doch das war ihm unheimlich und am frühen Morgen, als wir alle zum Frühstücken gegangen sind, hat der Butzelbär so gekotzt, dass es gar nicht mehr aufhören wollte. Er hatte allerdings auch schon am Nachmittag zuvor mit Grappa angefangen. Anneli kannte den Schlub flüchtig von früher und hat uns damals zum ersten Mal als Freunde erlebt. Rückblickend sagt sie, unser Umgang sei so selbstverständlich und sehr innig gewesen. – Viel anfangen konnte sie nicht mit ihm. Damals nicht, später nicht. Ähnlich äußert sich auch Stephanie. Sie kann nichts Schlechtes über ihn sagen. Fand ihn nur nicht sonderlich spannend. Bemerkenswert an ihm sei nur gewesen, wie er sein Jüdischsein vertreten hat. Dass er das immer so kultiviert, so vor sich hergetragen hat. – Hat er das? – Oh ja! – Sie erinnert an eine Diskussion über Schindlers Liste und seine profilisierungssüchtige besserwisserische Kritik an dem Film, mit dem er sich zur jüdischen Über-Autorität über Spielberg machen wollte. – Kann ich mich nicht daran erinnern. Weiß nur, dass es damals auch viele nicht-jüdische Kritiker gab, die es besser wissen wollten als Spielberg; denen Schindler als Held moralisch zu unordentlich war und die mit der Botschaft des Films - Wer ein Leben rettet, rettet die Welt/die ganze Welt - nichts anfangen konnten. – Zur Jüdischkeit des Schlub mehr an anderer Stelle (der junge Schlub und der Religionsunterricht; ein Familienfoto seiner jüdischen Familie, aber ein Familienfoto seiner christlichen Familie gibt es nicht; wie ich ihm mit einem Wortspiel sein Jüdischsein aberkennen wollte). – Hat sein Jüdischsein in unserer Freundschaft eine Rolle gespielt? – Hätte ich ihn von Anfang an als so langweilig und nichtssagend empfunden wie später, wenn er nicht einen jüdischen Vater gehabt hätte und wenn mit ihm nicht ein Gespräch über Judentum möglich gewesen wäre wie mit anderen Gesprächspartnern nicht? – Gut, dass die Frage gestellt wurde. Vorläufig ist nur festzuhalten: Der Schlub war in der ersten Phase unserer Freundschaft ein witziger Kerl und er hat Sachen gemacht, die mir gefallen haben. Wir hatten gemeinsame Interessen. Die hatten wir zuletzt nicht mehr. Auch der Witz war weg. Die Gespräche wurden mühsam. Der Umgang mehr und mehr unerfreulich. Letzte Unerfreulichkeit: Die Art, wie der Schlub mit meiner Bitte um finanzielle Hilfe umgegangen ist (bitte beachten: nicht, dass er mir nicht helfen wollte, sondern wie er mich und meine Bitte um Hilfe behandelt hat, war das Unerfreuliche). Statt mich einfach abzuwenden und es so schnell wie möglich zu vergessen wie nach einem anderen sehr unerfreulichen Erlebnis mit ihm vor vier Jahren, habe ich über das letzte Erlebnis geschrieben und mir dann vorgenommen, die ganze Geschichte vom Schlub und mir zu erzählen. Dabei war es von Anfang an so, dass das Unerfreuliche im Leben sich im Schreiben fortsetzte als ein Unbehagen, eine Beklemmung. Anneli meinte gestern, dass man das Unbehagen und die Beklemmung auch beim Lesen empfindet. – Also aufhören damit? Oder soll ich die Geschichte zu Ende erzählen? Willst du zum Beispiel wissen, wie das mit dem Guggenheim-Ereignis war? – Antwort Anneli: Unbedingt weiter erzählen. Aber es muss eine Auflösung der Beklemmung geben. – Das kann doch nur sein, dass er den Dialog mit mir fortsetzt. Aber das wird er nicht tun. – Woher willst du das wissen? sagt sie. Und zuvor hat sie gesprochen von einer Großzügigkeit, die ich zeigen müsste. – Damit redet sie genau so, wie ich gedacht habe. Bis ich nach mehreren Schreibanläufen gemerkt habe, dass ich es nicht hinkriege. Dass ich mich überfordere damit, in diesem Konflikt zum Helden zu werden mit meinem Bemühen, nicht nur mit mir, sondern auch mit dem Schlub ins Reine zu kommen. – Stephanie dazu: Ich habe es aufgeben, mit jedem ins Reine kommen zu wollen. Mit manchen Leuten geht das eben nicht. - Sie nennt einen für sie wichtigen Fall, der aus Diskretionsgründen nicht zitiert wird. Und dann erinnert sie mich an einen meiner Standardsätze von früher: Man kann nicht immer gut aussehen. – Immer noch wahr. Aber vielleicht geht es, ohne gut aussehen. Wahrscheinlich geht es nur so. Ein Versuch noch. Keine Heldentat. Keine Überanstrengung. Dokumentieren, was ich habe (von letzter Woche). Erzählen, was noch zu erzählen ist. Schauen, was dabei passiert.