Mittwoch, 19. Januar 2011

Gong

Falls sich jemand gewundert haben sollte, warum ich gestern nicht gemeldet habe, was Peter bei Professor B. über seine Knubbel am Hals erfahren hat, ich habe mich auch gewundert. Um 12 Uhr sollte er den Termin im Virchow-Klinikum haben. Ab 14 Uhr habe ich darauf gewartet, dass er anruft und sagt: Alles gut. Professor B. hat zu mir gesagt, wenn ich so alt werde, wie ich mit den Knubbeln werden kann, soll ich mich glücklich schätzen. – Komische Ausdrucksweise, hätte ich dann gesagt und mich gefreut mit dem Peter. So aber hatte der Peter um 15 Uhr immer noch nicht angerufen und um 15.30 Uhr auch noch nicht. Hatte er vergessen, dass wir ausgemacht hatten, dass er mich informiert, sobald er aus der Klinik zurück ist, oder war der Befund so, dass er jetzt in einem desolaten Zustand der Unansprechbarkeit war? – Anruf bei Peter. Er meldet sich mit verschlafener Stimme: Wie viel Uhr ist denn? – Ich schaue auf die Turmuhr des Schöneberger Rathauses, weil ich gerade rauchend an der offenen Balkontür stehe, und sage: 15 Uhr 59. Und es tut mir leid, dass ich ihn geweckt habe. Das macht aber nichts. Im Gegenteil, er will nämlich noch einkaufen gehen später, sagt er. – Und? – Was und? – Der Befund. – Kein Befund. – Wieso? – Es müssen noch die Ergebnisse der Blutuntersuchung abgewartet werden. – Was?! Deshalb hat dich der B. kommen lassen, um dir das zu sagen? – Naja. – Folgt meine sehr kritische Betrachtung des Verhaltens von Professor B., während Peter nichts dabei zu finden scheint, dass er umsonst ins Virchow-Klinikum geschlappt ist. – Und was war gestern? – Gestern? – Da hast du doch auch einen Termin gehabt wegen der Knubbel. – Na, da haben sie mich in die Röhre geschoben. – Röhre? – Na, MRT. – MRT hast du doch letzte Woche gemacht. – Was haben wir heute? – Dienstag. Es ist Dienstag, der 18. Januar. Beim Gongschlag ist es 16 Uhr und vier Minuten. Gong! – Und weil mir das komisch vorkommt, dass der Peter gestern in die Röhre geschoben wurde, wo er doch am Donnerstag schon bei der MRT war, werde ich jetzt auch komisch und setze das Spiel fort: Beim Gongschlag ist es 16 Uhr, 4 Minuten und 30 Sekunden. Gong! – Peter hat sich inzwischen daran erinnert, dass er vergangenen Donnerstag schon bei der MRT war. - Und was haben sie dann bei dem Termin gestern gemacht? – Blutentnahme. – Aha. – Nächster Termin bei Professor B. ist nun morgen Vormittag. Am frühen Vormittag. Denn am Mittag ist Peter bei seinem Psychotherapeuten. – Gut bei alldem ist, dass ich mir mehr Sorgen mache wegen des Befundes als Peter, der so gelassen wirkt, dass ich mehrmals nachfrage, ob Professor B. ihm irgendetwas Beruhigendes gesagt hat. Aber das hat er nicht. Er hat Peter bei dem Termin gestern nur gesagt, dass er ihm noch nichts sagen kann. Das muss man sich mal vorstellen!  – Das Spiel mit der Zeitansage ist übrigens ein Zitat gewesen aus meiner Lieblingskomödie Bringing Up Baby (Leoparden küsst man nicht). Da gibt es eine Szene, in der Katharine Hepburn sich vor einem Anrufer verstellt, indem sie so tut, als sei sie die Zeitansage. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass Katharine Hepburn, die eigentlich eine großartige Komödiendarstellerin ist, in dieser Szene ganz schlecht spielt. So schlecht, dass ich mich jedes Mal, wenn ich den Film sehe, frage, ob Howard Hawks was gegen sie hatte und sie vorführen wollte, indem er diese Szene nicht herausgeschnitten hat. Aber weil die Szene so schlecht gespielt ist, kann man als Schauspieler-Laie auch nicht viel falsch machen, wenn man sie nachspielt.