Sonntag, 2. Januar 2011
Großzügig
Schwierigkeiten mit dem Wortgebrauch von Faszination und fasziniert sein. - Wovon man nicht sprechen kann, das sollte man besser lassen? – Der Mann mit dem angenehmen Wiener Akzent heißt wahrscheinlich nicht Wittgenstein. Er kommt mir in der Grunewaldstraße entgegen und wünscht mir mit seinem Wiener Akzent Frohes Neues Jahr, noch bevor ich es ihm wünschen kann. Die Welt ist alles, was der Fall ist. Ich halte den Neujahrsgruß des Mannes mit dem angenehmen Wiener Akzent für ein gutes Vorzeichen. – Es ist nicht immer von Vorteil, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben. Das Mäppchen, das mir geschenkt worden ist, obwohl ich kein Geschenk bekommen wollte und schon gar kein Weihnachtsgeschenk, ist nicht zu gebrauchen, denn es ist viel zu klein, um alle meine Karten, den Personalausweis, den Führerschein, mein vieles Geld und was ich sonst noch immer bei mir haben muss, darin unterzubringen. Was mache ich jetzt damit? Was sage ich jetzt der Person, die es so gut mit mir meinte? Wie bringe ich sie dazu, mir nichts mehr zu schenken? Wie mache ich klar, dass ich nichts mehr geschenkt haben will? - Weil ich lieber mein altes, zerfleddertes Mäppchen weiter benutze, in das alles hineinpasst, als das neue, viel zu kleine, das mich immer erinnern wird daran, dass jemand an mich, aber nicht mitgedacht hat. Und weil ich es grundsätzlich leid bin, Opfer von CDs zu werden, die aus der eigenen CD-Sammlung aussortiert wurden, weil sie sich als Fehlkäufe erwiesen haben. Oder eine Krawatte zu bekommen (beim selben Anlass wie die CDs, einem Geburtstagsessen, zu dem ich eingeladen hatte in einer Zeit, in der ich noch Krawatten trug), eine braune (sic!) Krawatte, die der Schenkende wahrscheinlich selbst geschenkt bekommen hatte und nun weiter gab an mich, weil sie ihm nicht gefiel. – Wobei die eigentliche Zumutung gar nicht der Schwund ist, den sie einem einpacken, sondern die Verlegenheit, in die sie einen damit bringen. – Dieser Verlegenheit und der Beklemmung, die sie erzeugt. will ich mich nicht mehr aussetzen. Ich werde Geschenke künftig nicht mehr annehmen. Dann muss ich auch nicht mehr nachdenken über die Motive des Misslingens (Mäppchen) oder der Schäbigkeit (CDs, Krawatte) beim Schenken oder darüber, dass mir das immer wieder passiert, und dass ich das möglicherweise anziehe, solche Geschenke zu bekommen. Dass es möglicherweise etwas verrät darüber, wie ich von Leuten gesehen und deshalb von ihnen behandelt werde. Denn ich ziehe es gar nicht an. Es ist einfach nur so, dass ich als Kind großzügig beschenkt wurde - dass ich Geschenke bekommen habe, die mich jedes Mal umgehauen haben, weil sie das, was ich mir gewünscht hatte, weit übertrafen. So dass ich auf die Achtlosigkeit und Schnödigkeit beim Schenken im Erwachsenenleben, die in unserer Kultur der Normalfall sind, nicht vorbereitet bin und mich deshalb auch nie mit ihr werde abfinden können. Also werde ich künftig Geschenke mit den Worten zurückweisen: Das kann ich nicht annehmen. Und damit das nicht für eine Floskel gehalten wird im Sinne von: das wäre doch nicht nötig gewesen, werde ich hinzufügen: Bitte nimm das wieder mit und das Geschenk ungeöffnet zurückgeben. Und wenn ich gefragt werde, warum ich das Geschenk nicht will, dann werde ich sagen: Ich bin als Kind so großzügig beschenkt worden, dass es für mein ganzes Leben reicht. - Nur von Kindern werde ich weiterhin Geschenke annehmen, weil Geschenke von Kindern immer gut und nicht nur gut gemeint sind.