Montag, 31. Januar 2011

Oh! Oh! Oh!

Der lachende Mann hat sich diese Woche frei genommen, sagt der jüngere Mann, der immer mit ihm zusammen auftritt beim Frühschwimmen im Hallenbad am Sachsendamm. – Warum? - Weiß er nicht, der jüngere Mann. -  Ich hoffe, es ist nichts Ernstes, sage ich. – Das heiße Wasser aus der Dusche ist heute ganz besonders heiß. Die Badehose des jungen russischen Mannes, der neben mir steht ist, vorne ausgebeult. - Ich hoffe, ich habe nicht gestört. - Der andere junge russische Mann, der neben dem mit der ausgebeulten Hose steht, hat auch seine Badehose an beim Duschen. - Im Gegensatz zu den meisten anderen dusche ich auch vor dem Schwimmen ohne Badehose. Das habe ich von Bernd gelernt, der mal gesagt hat: Sonst hat es doch gar keinen Sinn. Weil man doch gerade da schwitzt nachts. – Von Bernd habe ich auch gelernt, dass man in der Umkleide des Bades nicht seine Hornhaut an den Füßen abschmirgelt, weil das von anderen als unangenehm empfunden werden könnte. So haben wir uns kennengelernt. Er hat mich deswegen zurechtgewiesen. Und zwar über mehrere Kabinengänge hinweg. Er hatte mich gar nicht gesehen, nur das Geräusch gehört und sich dann lautstark empört. Darauf habe ich mich auch empört und zurückgerufen, er soll sich beim Aufsichtspersonal über mich beschweren, wenn ihm etwas nicht passt, und nicht mich anquatschen. Bei dem sodann von Angesicht zu Angesicht geführten Streitgespräch verwies ich darauf, dass ich den Abrieb nicht auf den Boden, sondern auf meine Badeschlappen rieseln lasse. Was er nicht gelten lassen wollte, da es ihm ums Prinzip ging: kein Hornhautabschmirgeln an öffentlichen Orten. Nachdem jeder von uns seinen Standpunkt dargelegt hatte, sagte ich zu ihm: Ich verachte Sie! - Worauf er in Hohngelächter ausbrach. – Ein paar Wochen später hat er angefangen, mich freundlich zu grüßen und wir wurden die allerbesten Schwimmbadbekannten – mit einem fast zärtlichen Verhältnis zueinander; wir klopfen uns immer gegenseitig auf die Schultern. Er hat damit angefangen und dann habe ich mir das auch angewöhnt. Bernd ist der Erste und für sehr lange Zeit Einzige gewesen, mit dem ich über die Tess geredet habe, die ich damals noch mit dem vollen Namen, den ich ihr gegeben hatte, mit Contessa bezeichnet habe. Und Bernd war mithin der Erste, demgegenüber ich den Namen ausgesprochen habe und demgegenüber ich erkennen ließ, dass ich mich in sie verguckt hatte. – Darauf sagte er: Oh! Oh! Oh! Womit er bis zum heutigen Tag recht behalten sollte. Bei dem Oh! Oh! Oh! hat er sich nicht lange aufgehalten, sondern hat die Gelegenheit genutzt, um sich über die Tess zu beschweren. Weil sie so stur ist und ihn bei der Wende am Beckenrand nicht vorbei lässt. - Ich habe sie in Schutz genommen, indem ich erklärte, dass sie aus ihrem Schwimmrhythmus kommt, wenn sie seinetwegen anhält, um ihn vorbei zu lassen. Und um eine Diskussion darüber zu verhindern, habe ich abgelenkt und über ihren Schwimmstil gesprochen: das contessenhafte Brustschwimmen ohne Untertauchen des Kopfes und ihr hinreißendes Power-Kraulen. - Stimmt, sagte er strapaziert, Kraul schwimmt sie inzwischen auch noch. - Ich: Sie ist immer schon Kraul geschwommen. – Danach hat er sich noch ein paar mal höflich nach ihr erkundigt, als sie beim Schwimmen nicht mehr zu sehen war. Ich habe jedoch so getan, als hätte ich sie aus den Augen verloren. Obwohl ich sie inzwischen in der Dachwohnung gegenüber häufiger sah als zuvor beim Schwimmen. Aber erstens war ich mir zu Anfang nicht sicher, ob die Frau gegenüber auch tatsächlich die Contessa aus dem Hallenbad ist, und als ich mir sicher war, da war die Geschichte zu kompliziert geworden, um sie bei einem fünfminütigen Gespräch am Beckenrand auszubreiten. Bernd hörte schließlich auf, nach ihr zu fragen und das war mir gerade recht so. – Worauf will ich hinaus? – Ich wollte Bernd in diesem Text nur kurz erwähnen, mit dem heutigen Gespräch am Beckenrand, in dem es um die Grüne Woche ging, bei der ich noch nie gewesen bin und bei der er gerade eine Gruppe von 120 Russen betreut hat mit seinem Berlin-Tourismusservice. Im Anschluss daran wollte ich von dem jungen Mann berichten, der mir heute beim Schwimmen mehrmals in die Quere gekommen ist, obwohl genug Platz im Becken für uns beide war, und mit dem ich am Ende unter der Dusche einen kurzen Dialog darüber hatte, dass montags aus der Kaltwasserdusche nie richtig kaltes Wasser kommt. Erklärung: Am Wochenende ist das Hallenbad geschlossen, das Wasser steht in den Leitungen, wärmt sich auf. Eine These des sympathischen Sachsen. – Die habe ich dem jungen Mann gegenüber erwähnt, denn er fand auch, dass das kalte Wasser nicht richtig kalt ist: Es könnte ein wenig kälter sein, hat er gesagt. Ich wollte noch mehr von dem jungen Mann berichten. Wie er erst scheu und verschlossen war und dann beim Weggehen gleich zweimal gegrüßt hat. Das als Ausgangspunkt dafür, dass ich mich ab jetzt für junge Männer interessieren werde – für das scheue und verschlossene Verhalten junger Männer im Hallenbad, im Unterschied zum leutseligen Verhalten älterer Männer. Bernd ist übrigens maximal zwei Jahre jünger als ich. Dazu noch Rheinländer. Heißt, er liegt mir, weil: ich habe gerne mit Menschen aus dem Rheinland zu tun. Umso weniger verstehe ich, dass ich ihm gegenüber nie auch nur angedeutet habe, was ich mit der ihm als Contessa bekannten Frau inzwischen erlebt und nicht erlebt habe. Und das, obwohl er der einzige in Frage kommende Gesprächspartner ist, der die Tess schon mal gesehen hat. - Warum habe ich Stillschweigen bewahrt über die Tess ihm gegenüber?  - Erscheint er mir als Vater zweier erwachsener Söhne (beide in England studierend) und als zum zweiten Mal verheirateter Ehemann zu gediegen als Gesprächspartner für so eine wolkige Geschichte? Will ich vor ihm nicht dastehen als einer, der so eine wolkige Geschichte hat? Oder will ich nicht wieder eine Bemerkung hören nach der Melodie von Oh! Oh! Oh! ? Möchte ich mich, was die Tess angeht, lieber nicht dem pädagogischen Einfluss aussetzen, den Bernd auf mich hat?