Sonntag, 23. Januar 2011

Einzelfall

Es geht nur noch um den Schlub in meinem Kopf. Ich will ihn da rauskriegen. Erkenntnis der Woche: Er und ich, das war nur eine Bekanntschaft, die zu weit gegangen ist. Freundschaft war das nicht. Wir haben es gewollt, es hat nicht geklappt, dabei sind wir uns so nahe gekommen, wie es besser nicht passiert wäre. Ich habe mich dabei so aufgeregt, dass ich mich immer noch nicht wieder ganz eingekriegt habe. Und ihm, nehme ich an, hat es sehr weh getan, nun von mir erfahren zu müssen, wie ich über ihn denke, schon lange über ihn denke. - Zweite Erkenntnis der Woche: Ich war nie einverstanden mit ihm. Meine freundliche Art, damit umzugehen, war meine Vorstellung, dass er wie ein kleiner Bruder für mich ist, den ich beschützen will. Vor sich selbst. Vor seinen Dummheiten. Und vor mir, indem ich ihm lange Zeit verschwiegen habe, was ich über ihn denke. Immer auch in der Hoffnung, dass er sich noch ändert. Jung genug war er. Die Möglichkeiten hatte er. Die hat er nicht genutzt. Dabei ist er alt geworden. – So in etwa das Denken. Fazit. Rückzug. Aber immer noch kein Schluss. - Was ich angefangen habe, muss ich zu Ende erzählen. Das schulde ich den Lesern. – Wirklich? – Und wenn ich erkläre, ich behalte es lieber für mich? Es ist vergangen und vorbei. Es ist nicht nur unschön, es ist teilweise sogar scheußlich trostlos, es sind keine Einsichten von Belang daraus zu gewinnen. Denn es handelt sich um einen hoffnungslosen Einzelfall. Er ist ein hoffnungsloser Einzelfall. Unsere Bekanntschaft ist ein hoffnungsloser Einzelfall. Ich sowieso. Und mit mir selbst habe ich hier gerade genug zu tun. – Und schon könnte ich mich entspannen. – Mal sehen, wie weit ich damit komme. – Vielleicht will ich wieder, wenn ich ein paar Tage lang nicht mehr denke, ich muss. – Mal sehen, ob es sich jetzt schon anders anfühlt. – Zwei Illustrationen zu den Gedanken oben. Freundschaft: Der Schlub kann ein sehr hingebungsvoller, wirklicher Freund sein. Das habe ich mitgekriegt: Mann in seinem Alter. Seine Statur auch. Komischer Name, ich erfinde ihn um: Zacko. Die Zärtlichkeit, mit der der Schlub über ihn redet. Und wenn man sie zusammen sieht, die beiden, wie zwei verliebte Jungs sind sie. Zacko ist Erbe wie der Schlub. Nur, Zacko kommt nicht ran an sein Geld, sagt der Schlub. Deshalb muss er arbeiten, aber nicht mit seinem Vermögen, wie der Schlub es kann, sondern er arbeitet in der größten Buchhandlung in Krefeld. Jetzt ist mir neulich einmal aufgefallen, dass der Zacko nun schon seit bald 20 Jahren nicht rankommt an sein Geld. Kann das denn sein, dass die den immer noch nicht ranlassen an sein Erbe? – Prince-Charles-Schicksal? – Muss da erst noch jemand sterben, bevor er rankommt, oder – habe ich mir auf einmal gedacht – stimmt das vielleicht gar nicht mit dem Erbe? Hat der Zacko dem Schlub das nur erzählt, um ihm ebenbürtig zu erscheinen? Weil er glaubt, der Schlub braucht das, was vielleicht auch stimmt. –  Dass ich so etwas denke, charakteristisch dafür, wie ich den Schlub sehe: Dass ihm etwas vorgemacht wird und er fällt darauf rein. – Zweite Illustration: In den vier Jahren zwischen meinem Bruch mit dem Schlub und der Versöhnung im letzten Jahr hat der Schlub eine Frau kennengelernt und geheiratet. Frau mit vier Kindern, die ihm von vornherein gesagt hat: viel kannst du von mir haben, aber ein Kind will ich nicht noch eins. Tolle Frau, tolle vier Kinder. Herzlichen Glückwunsch, Schlub! Aber, habe ich ihm gesagt, noch gar nicht so lange her: Aber wenn du mich um Rat gefragt hättest, ich hätte dir abgeraten von dieser Ehe. – Warum? – Warum hast du dir nicht eine junge Frau gesucht, die alles noch vor sich hat und mit der du dich hättest fortpflanzen können? – Schlub: Pfff. – Ich weiß natürlich schon, dass dem Schlub die Frauen nicht nachgelaufen sind, trotz seines Geldes Also sage ich: Dann hättest du dir eben über ein jüdisches Single-Netzwerk ein armes russisches Mädchen gesucht oder wärst nach Israel gegangen und hättest dir da ein armes russisches oder sonst ein armes Mädchen gesucht. – Schlub wieder: Pfff. – Ich: Und beim Aussuchen hätte ich dir geholfen. – Schlub hat gerade The Kids Are Alright   gesehen und sagt: Patchwork-Familie. Zeitgemäß. – Ich sage: Fortpflanzen hättest du dich sollen, mit deinen eigenen Kindern konfrontiert sein. Nicht Vater spielen, Schlub. Vater sein. Deine Brut. Deine Gene. Dann wäre vielleicht noch was aus dir geworden, menschlich. – Er: Sehr konservative Einstellung. – Ich: Sogar archaische Einstellung. Kann, wenn es um Mutter, Vater, Kind geht, auch gar nicht anders sein. – Er schüttelt den Kopf. – Ich sage: Wenn deine Eltern noch leben würden, die hätten dir das Gleiche geraten. – Womit auch schon alles gesagt ist. Wer bin ich denn? Ich bin nicht seine Mutter, ich bin nicht sein Vater, ich bin nicht sein älterer Bruder, ich bin nicht einmal sein Freund. Ich bin nur ein langjähriger Bekannter. Und er macht, was er für richtig hält, oder macht es so, wie es nun mal gekommen ist. Da kann ich denken darüber, was ich will. Das muss ich ihm aber doch nicht sagen.