Dienstag, 25. Januar 2011

Explosion

Nass und kalt. Was mit der Tess ist, weiß ich nicht. Und dadurch, dass ich mich aufführe wie ein wütendes Kind, wie gestern Abend, erfahre ich auch nicht mehr. – Das Dachlukenlicht mal untertiteln? – Spärlicher sind sie geworden, die Lichtzeichen. Professor wieder zurück, nachdem er die vergangene Woche über weg war. Wie angenehm. Jetzt vielleicht schon wieder weg. Oder er zeigt sich nur nicht. Lichtzeichen jedenfalls immer noch spärlich und gedämpft. Kann heißen: die Tess ist traurig. Kann aber auch was anderes heißen. Keine Untertitel. Nichts, worauf ich mich beziehen kann. Sobald ich was von Treffen schreibe und von Reden, macht sie das Licht aus. Das verstehe ich auch ohne Untertitel. Aber ich verstehe nicht warum. Wer bist du? schreibe ich. Wer ist er? Wie kann er Dir vorschreiben, mit wem Du reden darfst und mit wem nicht? Das ist das 21. Jahrhundert. Wir leben in einem freien Land. Folgen Beschimpfungen des Professors. Geschmacklose, obszöne Umschreibungen eines möglicherweise gegebenen Selbstbewusstsein-Defizits und seiner Ursachen, vielleicht nur einer. Ich bin geistig ein Kind der 60er Jahre; wer damals Porsche fuhr und dann auch noch Pfeife rauchte, wie der damals berühmte ZEIT-Journalist Rudolf Walter Leonhardt, musste sich Mutmaßungen über das Längenmaß seiner Männlichkeit gefallen lassen. Jetzt raucht der Professor aber keine Pfeife. Der raucht überhaupt nicht. Und er fährt U-Bahn, Bus und Fahrrad wie ich, hat nur dieses archaische Macho-Gebaren, weswegen ich ihn neulich schon mal mit Burt Reynolds verglichen habe, Über-Männchen, das es in den 70er Jahren zu einem schnell verblassenden Ruhm gebracht hat und - nicht! - weiteren Kreisen bekannt wurde durch seine Rolle an der Seite von Jill Clayburgh in An Unmarried Woman, weil er da gar nicht mitgespielt hat, wie ich es in Erinnerung hatte, aber zum Glück habe ich es eben noch mal nachgeprüft auf IMDb. Ich bin völlig durcheinander. Und ich schweife ab. Der Professor hat übrigens keinen Schnurrbart. Es geht auch überhaupt nicht um ihn. Es geht um die Tess. Die stolze Contessa, in die ich mich vor zwei Jahren verguckt habe und die jetzt nur noch den sterbenden Schwan am Lichtschalter gibt und nicht mir redet, weil sie nicht darf. Darf! – Ich kann es nicht fassen. Ich kann es vor allen Dingen nicht glauben, dass sie sich das gefallen lässt und keine Wege findet, heimlich oder offen. So raffiniert wie sie ist, und das ist sie wirklich. – Also wieder – immer im Kreis – die Frage, ob sie gar nicht will, mich treffen, mit mir reden. Aber was will sie dann? - Und wie soll ich klarkommen, wenn ich nicht weiß, was sie will? – Fantasie aus meinem oft zitierten Brief an sie: dass sie eine Schriftstellerin ist und mich herumirren lässt in dem Labyrinthversuch, den sie mit mir macht, um mich zu beobachten und über mich zu schreiben. Wie interessant! Welche Ehre! Und warum nicht? Ich helfe gerne, wo immer ich kann. Aber nach zwei Jahren müsste sie doch ihr Material komplett haben. Wiederholt sich doch alles nur noch. Wie gerade wieder: letzte Woche noch sehe ich sie als das bemitleidenswerte Aschenputtel, jetzt als die durchtriebene Tess, die könnte, wenn sie wollte, aber warum will sie denn nicht? Rätselhafte Tess. – Alles schon gehabt. In zahlreichen Varianten. – Nur Böse Tess hat es noch nicht gegeben. Das kriege ich nicht hin. Das würde ich mir nicht abnehmen. So weit lasse ich es erst gar nicht kommen. Und das ist die eigentliche Faszination der Tess, dass ich das bei ihr nicht schaffe, sie schlecht zu machen. – Da führe ich mich lieber auf wie ein wütendes Kind wie gestern Abend und schreibe ihr so Verzweiflungssätze wie: Die Situation ist nicht gut. Sie muss aufgegeben oder sie muss zur Explosion gebracht werden. Was ein Kind sich so alles vorstellt. Explosion. Keine Ahnung, wie das gehen soll. Aber vielleicht sollte ich mal darüber nachdenken. Denn alles ist besser als die ewigen Wiederholungen.