Sonntag, 19. Dezember 2010

Schlub

Es muss sich etwas ändern. Um ganz einfach zu beginnen: Es kann nicht sein, dass ich in meiner Lage zugeballert werde von der GEZ mit ihren Forderungen, obwohl ich nach der Fußballweltmeisterschaft per Einschreiben mitgeteilt habe, dass ich keinen Fernseher mehr betriebsbereit halten werde und faktisch nicht fernsehe. Denen schreiben, dass ich das nicht zahlen kann, was sie von mir wollen und es auch keinen Grund dafür gibt, wenn das keine verdammte Fernseh-Diktatur ist, in der wir leben. Sie über meine finanziellen Verhältnisse informieren und das belegen mit dem Hinweis auf meine Einkommenssteuerklärung 2009, die ich abgeben muss noch vor Jahresende, abgeben muss trotz der Geringfügigkeit meiner Einkünfte im Jahre 2009. Und wenn ich dann meinen Bescheid kriege im Januar, dann kann ich ihnen gerne eine Kopie davon schicken. GEZ. Finanzamt. Defensiver Teil des Finanzthemas. Offensiver Teil: Etwas herstellen, das ich verkaufen kann. Text, den ich anbiete gegen Geld. Geschäftsmodell eines Blogs mit beschränktem, kontrolliertem Zugang (gibt es als Option bei Blogger; maximale Teilnehmerzahl 100). Freier Zugang nur für die Tess. Alle anderen, auch Freunde und gute Bekannte, bezahlen. Dann haben die auch eine Möglichkeit, mich zu unterstützen, in dem was ich tue, ohne dass es ihnen peinlich sein muss, wenn sie mich nach meiner Kontonummer fragen in der Absicht, mir eine Spende zukommen zu lassen. Es ist dann auch gar keine Spende, sondern sie kriegen was für ihr Geld. Was? – Text. Erzählung, die abzweigt vom Roman meines veröffentlichten Lebens hier. Ausgearbeitete Erzählung. Konventionelle Erzählung. Autofiktional. Nichts Ausgedachtes. Nichts Erfundenes. Erzählung, die beginnt da, wo ich stehe. Erzählung, die Nacherzählung ist und zugleich Aktion. Erster Bezahltext: Erzählung vom Schlub. Erzählung von einem, der nicht aus seiner Haut kann. Nicht einmal dazu fähig ist, jemandem, den er zum Freund haben will, zu helfen mit Geld. Nicht mal dazu fähig, überhaupt zu fragen, wie viel Geld das sein soll und wie groß die Not ist und herauszufinden, ob es eine wirkliche Not ist oder nur eine vorgegebene, um ihm sein Geld aus der Tasche zu ziehen. So in sich selbst verhockt und verstockt, so gefangen in seiner Haut, dass es ihm unmöglich ist, so einfache Fragen zu stellen und statt dessen lieber zu schreiben eine Ausreden-Mail, um den anderen, mich, fernzuhalten von seiner Haut, aus der er nicht kann. Das der Anfang der Erzählung. Von da aus zu anderen Momenten mit dem Schlub: Wie ich einmal vor langer Zeit darauf gekommen bin, dass es sein könnte, dass er geizig ist. - Wie ich ihn vor noch längerer Zeit zum ersten Mal als meinen kleinen Bruder gesehen habe und seither den Impuls hatte ihn beschützen zu wollen, ungeachtet dessen, was ich sonst bei ihm gesehen habe und ob mir das gefallen hat oder nicht. – Wie ich mir einmal einen Vorteil versprochen habe von der Freundschaft mit ihm; wie ich dann jedoch, als ich einen solchen Vorteil hätte genießen können, im letzten Moment darauf verzichtet habe (Was nicht so sehr für mich spricht, sondern gegen ihn. Weil ich, so wie ich ihn dabei erlebt hatte, mich nicht in eine Abhängigkeit bringen wollte von ihm durch den Vorteil). Noch mehr Momente dieser Art. Und schließlich der Moment der Erzählung: Wie ich, nachdem er meine Bitte darum, mich zu unterstützen, nicht einmal an sich heran gelassen hat, nun erzähle von dieser Verweigerung und sie zu verstehen versuche aus seiner Person und unserem Verhältnis zueinander und damit auch von mir erzähle und von meiner Erwartung, von ihm Hilfe bekommen zu können, die genau so kritisch zu betrachten ist wie das Verweigern der Hilfe. Denn hätte ich es nicht wissen können, dass er nicht aus seiner Haut heraus kann und gehört es nicht zu den Tugenden in einer Freundschaft, dass man die Grenzen eines Freundes achtet und ihn nicht in Verlegenheit bringt, indem man Erwartungen an ihn heranträgt, die zu erfüllen er nicht in der Lage ist? – So dass es sich am Ende erweisen könnte, dass nicht nur der Schlub ein Tölpel ist, sondern ich es nicht weniger bin. Was sicher das intellektuell befriedigendste Ergebnis wäre. Doch ob es so ist, lässt sich von hier aus nicht sagen. Das muss der Text klären. Der Text aber ist Aktion und damit das Ende offen. - Alleine schon deshalb ist es ziemlich leichtsinnig, was ich hier gerade mache: über ungelegte Eier reden. Und leichtsinnig ist es auch, von vornherein preiszugeben, dass der geplante Text ein Vorbild in der Realität haben wird, und ihn damit von vornherein angreifbar zu machen als Verrat, als Indiskretion über eine Person des wirklichen Lebens. Aus dem Beweggrund, dass ich nicht bekommen habe, was ich wollte. Bestimmt wird mir das unterstellt werden. Aber soll ich mir deshalb verbieten, von so einem bedeutenden Erlebnis in meinem Leben zu schreiben? – Die Frage enthält bereits die Antwort: Nicht verbieten. Denn ich kann mein Handeln nicht leiten lassen von der Absicht, Unterstellungen zu vermeiden. Und mein Schreiben wird auch keine Indiskretion und schon gar kein Verrat sein, weil ich über mich und  m e i n (Er)Leben schreiben werde. Ich schreibe also nicht über eine reale Person und behaupte, so ist die. Worauf die reale Person sagt, so bin ich nicht und deshalb verbiete ich dir das anwaltlich, und wenn es sein muss gerichtlich, das über mich zu behaupten. Ich schreibe über  m e i n Erlebnis mit der anderen Person. Ich sage daher nicht, die Person ist so, worin ich mich täuschen kann, weil jemandem anderen gegenüber, einem anderen Freund gegenüber, ist die Person möglicherweise ganz anders. Sondern ich sage, das habe ich so erlebt mit einer Person, der ich den Aliasnamen Schlub (*) gebe und der ich keine Orte zuschreibe und keine äußere Erscheinung, an der sie wiedererkennbar wäre. Was das Erzählen erschwert und mich vielleicht sogar zwingen wird, stellenweise zu tun, was ich nie wieder tun wollte: zu fiktionalisieren. So weit zu fiktionalisieren, dass es mich nicht mehr interessiert und ich es lieber sein lasse. Weshalb ich es besser erst einmal weiter durchspielen und ausprobieren sollte, statt hier über den Plan zu schreiben. Doch es ist nun mal das, womit ich mich heute beschäftigt habe. Viel mehr ist nicht zu berichten. Nur noch zu erwähnen, dass ich eben der Tess geschrieben habe. Denn auch da muss sich unbedingt etwas ändern.

(*) Das Wort habe ich gerade erst vor einer Woche gelernt. Es ist mir begegnet in einem Artikel auf  The Daily Beast: Is It Time to Redefine Narcissism? Darin der Satz: Today, grandiosity can get the average schlub anything from a reality-TV show to 100,000 Twitter followers. - Schlub? - Leo-Nachfrage ergibt: Das Wort bedeutet Tölpel und kommt aus dem Jiddischen. Es ist nicht so hart und schmähend wie etwa das Wort Schmock, das ich gegenüber dem Schlub schon mehrfach gebraucht habe, immer mit einem Lächeln, als wäre es nicht ernst gemeint, doch das war es. Schlub ist im Gegensatz zu Schmock ein Wort, das man auch zärtlich und liebevoll gebrauchen kann. Es ist ein wunderschönes Wort. Es verwenden zu können als fiktiven Namen für die Person, um die es in meinem Erlebnis geht, ist ein entscheidender Grund für meinen Entschluss gewesen, von diesem Erlebnis zu erzählen. Jemandem, der Schlub heißt, kann man eigentlich nicht böse sein. Und da will ich hin mit meiner Erzählung, wenn es sie geben wird: alles auszusprechen, was ich erlebt habe mit dem Schlub, ohne ihm deswegen böse zu sein. Denn wozu?