Donnerstag, 23. Dezember 2010
Metastasen
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verzichten sie grundsätzlich auf die Nennung der Todesursache in den Nachrufen. Das ist mitunter ärgerlich. Aber es ist eine zu respektierende Haltung: Krankheit und Sterben ist Privatsache. Außerdem werden sie sich denken, bevor wir etwas Zweifelhaftes oder Falsches melden, was bei Todesursachen allzu leicht vorkommen kann, lassen wir sie lieber ganz weg. Diese vornehme Zurückhaltung kennt die Bildzeitung nicht. Unter anderem deswegen lesen wir sie, kriegen jetzt aber gerade mal wieder mit, welche Tücken das haben kann. - Célia von Bismarck ist an Hautkrebs gestorben, der metastasiert ist in ihre Bauchspeicheldrüse. 16 Jahre nach dem Auftreten eines Malignen Melanoms. Das stand im Leute-Teil der BILD, Unterabteilung Royals. Da basiert die Berichterstattung auf Hörensagen. Das kennen die Journalisten da gar nicht anders. Deshalb haben sie das mit der über 16 Jahre verschleppten Metastasierung nicht hinterfragt. Bloß keine Einzelheiten! Wer will das wissen? Lieber am nächsten Tag was Ermutigendes über Hautkrebs machen: drei Frauen, die ihn überlebt haben, weil Früherkennung. Inzwischen scheinen sie aber doch nachdenklich geworden zu sein in der Leute-Abteilung und haben mit der Mutter von Célia von Bismarck gesprochen: Romy Demaurex. Nach ihrer Aussage sind es nur 14 Jahre, die zwischen dem Auftreten des Malignen Melanoms ihrer Tochter und der Streuung in ihre Bauchspeicheldrüse lagen – und jetzt wird es richtig bunt: Der Arzt, der das Melanom entfernte, hat ihrer Tochter nicht gesagt, wie gefährlich es ist. Das ist nicht zu glauben. Das gibt es nicht. Er hat das Melanom vielleicht falsch diagnostiziert, die Hauterscheinung für harmlos gehalten, sie entfernt, ohne das weggeschnittene Gewebe histologisch untersuchen zu lassen. Das ist zwar immer noch unwahrscheinlich genug. Aber wenn, dann kann es nur so gewesen sein. Die Mutter weiter, mit einer Aussage, die auch in der ersten Berichterstattung über den Tod von Célia von Bismarck zu lesen war: Weil sie so diszipliniert gelebt hat – kein Nikotin, kein Alkohol, keine Drogen – habe es so lange gedauert, bis der Hautkrebs bei ihr Metastasen bildete. - Heute Nachmittag vor der Kasse bei Reichelt: Sag mal, Michaela, wie lange hat das bei Alexander gedauert von der Hautkrebs-Diagnose bis zum Auftreten der Metastasen in seiner Leber? - Michaela: Zwei Jahre. - Ich: Und bis wir ihn dann beerdigt haben? - Michaela: Knappes halbes Jahr. - Danke, Michaela (demnächst mehr von ihr). – Alexander hat, nachdem ihm die Diagnose Malignes Melanom mitgeteilt worden war, bei Gertrud im Café Forum einen Schnaps getrunken und von da an strikt abstinent gelebt. Keine Zigaretten, kein Alkohol; Drogen hat er sowieso nie genommen. Es hat ihm nichts genutzt. Ich würde eher sagen: Hätte er doch mal weiter geraucht und weiter ab und zu einen Schnaps getrunken und es sich auch sonst gut gehen lassen, um die Zeit noch zu genießen, die ihm geblieben ist, bis die Metastasen auftraten, die ihn trotz Chemotherapie innerhalb kürzester Zeit getötet haben. Mit 33 Jahren. – Ausschnitt aus einem Interview, das ich einmal aus persönlichen Gründen mit einem Dermatologen gemacht habe. – Ich: Wie lange kann es maximal dauern, bis gestreute Hautkrebszellen Metastasen bilden? – Professor G.: Zwei bis zweieinhalb Jahre. – Ich: Und danach ist man auf der sicheren Seite? – Professor G.: Was die Streuung durch das entfernte Maligne Melanom angeht, ja. – Ich: Es gibt also nicht so etwas wie Schläfer-Krebszellen, die sich verstecken und erst später aktiv werden? - Professor G. (lacht): Das ist eine drollige Vorstellung. Nein, so etwas gibt es nicht. – Worauf will ich hinaus? Können die BILD-Mitarbeiter, die das Leben und Sterben von Célia von Bismarck redaktionell betreuen, nicht mal ihren Fall abklären, indem sie Fachleute - Dermatologen - konsultieren. Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass es einige Menschen gibt, die einmal an Hautkrebs erkrankt waren, sich inzwischen auf der sicheren Seite wähnten und die jetzt - nach der Berichterstattung über diesen Fall einer über 14 Jahre verschleppten Metastasierung - sehr beunruhigt sind.