Donnerstag, 16. Dezember 2010
Respekt 1
Allen Lesern einen herzlichen Glückwunsch zum 235. Geburtstag von Jane Austen. Dass der heute weltweit gefeiert wird, darauf macht uns die tagesaktuelle Google-Eröffnungsseite aufmerksam. Erst habe ich gedacht: 235. Geburtstag - zweihundertfünfunddreißig -, jetzt übertreiben sie es aber mit den Geburtstagen bei Google. Doch was soll´s? Jeder Anlass ist recht, um auf Jane Austen hinzuweisen. Wer also Stolz und Vorurteil (Pride and Prejudice) noch nicht gelesen hat (Verfilmungen zählen nicht, auch nicht die mit Keira Knightley): unbedingt nachholen! Und nicht abschrecken lassen von den 200 Jahren. Das spielt schon nach wenigen Seiten keine Rolle mehr. – Vorschau: Weiter unten gibt es was mit dem Professor, dem Freund von der Tess. - Jetzt erst mal 12.45 Uhr. Ich beim Durchspielen eines Einfalles, den ich beim Schwimmen hatte. Stichwort: Schlub. Was ich anfangen könnte mit dem er, der bis zum Äußersten anonymisierten Gestalt aus Konkurrenz aka die andere Seite. Was ich anfangen könnte mit der anonymisierten Gestalt, weil ich nicht aufhören kann, mich mit der realen Person zu beschäftigen. Nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen und zugleich das Gefühl, ihm Unrecht zu tun, weil ich ihm nicht gerecht werde - weil ich mich nicht in ihn hineinversetzen kann, weil mein Einfühlungsvermögen versagt bei ihm. Vielleicht nur deshalb, weil ich zu wenige Daten von ihm habe. Was an ihm liegt; wofür er aber auch nichts kann. Er kann nicht aus seiner Haut. Geschichte von jemand, der nicht aus seiner Haut kann. Geschichte in mehreren Momenten. Erster Moment: Neonazis mit Reichskriegsflagge auf einer Kirmes; Tränen. Momente verteilt über drei Jahrzehnte. Verbindungen zwischen den Momenten. Notizen. Mal sehen, ob ich das morgen noch verstehe, was ich gerade notiere und ob ich sie dann noch schreiben will, die Geschichte - ob es überhaupt eine Geschichte ist. Eine Zigarette rauchen an der einen Spalt breit geöffneten Balkontür. Hastig rauchen wegen der hereinströmenden Eiseskälte. Tür zu. Zurück ans improvisierte Stehpult zum Laptop. Kurzer Blick auf die andere Straßenseite zum Fenster des Contessa-Zimmers. Seit Dienstag stand das Subtile Zeichen auf Alles gut (zum ersten Mal wieder nach Monaten); seit dem Morgen steht es wieder auf Nicht gut. Hat die Tess es auf Nicht gut gestellt? Oder war es der Professor? Seit dem Wochenende ist er wieder zurück von wo auch immer er gewesen ist und jetzt steht er etwa 20 Meter entfernt von mir im Contessa-Zimmer, hinter dem rechten Flügel des Fensters. Der Freund von der Tess, genannt der Professor. Er trägt etwas Schwarzes und darunter etwas kapuziges Weißes und sieht gut aus und sympathisch (aus dieser Entfernung hat er eine Ähnlichkeit mit Jim Morrison, der hier letzte Woche mal vorkam; nur dass der Professor nicht die etwas zu dicken Backen von Jim Morrison hat; dafür hat er etwas zu kleine Augen, was aber auf diese Entfernung nicht zu erkennen ist). Und was macht er, der Professor? Warum steht er da? – Er schaut zu mir her. Und ich schaue zurück. Darauf schaut er weiter her und ich schaue weiter zurück. Stehe regungslos, schaue zurück und denke, ich sollte mal auf die Uhr gucken, um später genau sagen zu können, wie lange wir so gestanden und geguckt haben. Doch dazu hätte ich den Blick abwenden müssen von ihm und das wollte ich nicht. Denn darum ging es gerade: Wer wird als Erster den Blick abwenden? - Ich nicht. - Er hat dann, nach geschätzt dreieinhalb Minuten, sich als Erster bewegt - nicht gezuckt -, sich bewegt. Hat sich den Fensterrahmen angeschaut. Hat das Fenster geöffnet. Sich kurz rausgelehnt aus dem Fenster, hat auf die Straße runtergeschaut, anschließend das Fenster wieder geschlossen. Ist hinter das Fensterkreuz getreten, hat da kurz gestanden und dann ist er weggegangen vom Fenster und hat das Zimmer verlassen. – Es ist aber keineswegs so gewesen, dass er meinem Blick nicht standgehalten hat, weil er diese Übersprungshandlungen mit dem Betrachten des Fensterrahmens und dem Rauslehnen gemacht hat. Er hat so lange zurückgeguckt, dass das für mich zählt wie nicht weggeguckt. Im Nachhinein bin ich sogar froh, dass er die Szene mit seinen Übersprungshandlungen aufgelöst hat. Denn bei meiner Sturheit würden wir vielleicht immer noch da stehen und die Tess müsste ihn mit Essen und Trinken versorgen und ihm den Nacken massieren, während ich hier völlig alleine und unversorgt dastünde, mit leerem Magen, ausgetrocknetem Mund und Nackenstarre. Ach, und dass ich es nicht vergesse: während wir uns – unverwandt – anschauten, habe ich mal gelächelt, und wenn ich es richtig gesehen habe, hat er darauf auch gelächelt. – Und was hat das jetzt zu bedeuten? – Fortsetzung folgt.