Dienstag, 30. November 2010

Einleitung

Weiter mit meinem Roman. Am Samstag habe ich der Tess geschrieben. Verständigung über den Eklat in der Woche, nachdem es gerade erst so gut geworden war. Die Verständigung ist wie der Eklat Teil der Heimlichkeit, deshalb keine Einzelheiten. Sie hat sich gefreut, dass ich ihr wieder geschrieben habe (Fortsetzung aber nur in weiteren dringenden Fällen). Was ich ihr geschrieben habe, hat ihr nicht gefallen. Ich habe sie als naiv bezeichnet. Das denke ich schon eine Weile über sie, dass sie naiv ist; manchmal kommt es mir vor, es da drüben mit einem Kind zu tun zu haben. Dann aber auch immer wieder der gegenteilige Eindruck. Teil der schönen Verwirrung. Teil der wundersamen Geschichte. Ich kann es mir noch so oft einreden, dass die Geschichte zu Ende erzählt ist, sie geht weiter. Wie? Mal sehen, was die Tess macht.
Anfang eines neuen Kapitels. Geschichte vom Freund, auf dessen Hilfe ich hoffe und der sich letzte Woche nicht wie verabredet gemeldet hat. Auf meine Nachfrage hat er im Laufe der Woche dann noch reagiert. Davon später. Heute nur Einleitung. Der Freund und ich, wir kennen uns seit etwa 30 Jahren. Vor vier Jahren habe ich ihm die Freundschaft gekündigt. Ich habe es ihm in einer Mail, an der ich einen ganzen Nachmittag lang gesessen habe, erklärt warum, und als wir uns in diesem Frühjahr wieder versöhnt haben, habe ich es ihm noch mal erklärt. Dieses Mal ganz kurz mit einem Satz von Rainald Goetz, der in seinem Blog Klage stand (aus dem Gedächtnis zitiert): Aber ohne Freude aneinander es keine Freundschaft geben kann. - Bevor wir Freunde wurden, hatten wir geschäftlich miteinander zu tun. Er hatte einen kleinen Verlag, ich habe für ihn – gegen Bezahlung – lektoriert, seine Verlagswerbung getextet und ihn beraten. Das ist schon lange her. Mittlerweile verwaltet er einen geerbten und von ihm gemehrten Besitz. Da habe ich nichts dazu zu sagen. Meinen Rat sucht er trotzdem noch. Im Menschlichen. Und es interessiert ihn, was ich denke - politisch, kulturell, über mein Leben und das der Anderen. Was man so redet, wenn man einen Abend lang in einem Restaurant zusammensitzt. Das ist die Art, wie wir uns begegnen, seit ich in Berlin lebe und er regelmäßig in die Stadt kommt, um sich um seinen Besitz hier zu kümmern: Er lädt mich in ein teures Restaurant ein, wir essen, trinken und reden. Meinetwegen könnten wir uns auch unter anderen Umständen treffen, weniger zeremoniös. Doch für ihn ist es wahrscheinlich eine Nützlichkeitserwägung: Essen gehen muss er ohnehin, trifft er mich bei dieser Gelegenheit, muss er an diesem Abend nicht alleine essen. Egal. Freude aneinander. Was ist seine Freude an mir? - Er hört sich gerne meine Ansichten an, findet sie zum Teil zu extrem und regt sich darüber auf, einem anderen Teil stimmt er zu, macht sich vielleicht manche Ansichten von mir sogar zu eigen. Er findet es interessant, wie ich bin und lebe. Glaube ich. Genau weiß ich es nicht, denn er äußert sich dazu nicht und stellt mir auch keine Fragen zu meinem Leben. Darüber wundere ich mich immer wieder. Ist er denn kein bisschen neugierig oder interessiert er sich gar nicht für mich und mein Leben, sondern nur für meine Ansichten und meinen Rat oder isst er nur gerne mit mir zu Abend?  - Was ist meine Freude an ihm? – Wie er ist. Seine Art von Schlauheit. Seine Art von Humor. - Mal im peinlichen, aber liebevollen Stil einer Großtante: Die Schlauheit eines Schwarzwaldbauern, die er von der Seite der Mutter hat. Der Humor, den der Vater zusammen mit seiner Tüchtigkeit aus Galizien mitgebracht hat. - Beides zusammen, das immer wieder an ihm zu erleben, das ist meine Freude an ihm, aber noch nicht alles, was die Freundschaft ausmacht. Es gibt auch noch das Liebenswerte an ihm. das er hat, wenn er schwach ist, und das einen Beschützerreflex bei mir auslöst, den ich nicht bei jedem zeige. Und daneben gibt es all das, was mir überhaupt nicht gefällt an ihm. Eigenschaften, die er erworben hat in den letzten zwanzig Jahren im Umgang mit seinem Besitz, aber auch Eigenschaften, die er immer schon hatte und die er heute nur offener, ich könnte auch sagen, hemmungsloser zeigt. Eine dieser Eigenschaften ist - offenbar, möglicherweise, finden wir es heraus - Geiz. Von anderen seit langem schon gesehener, belächelter, hinter vorgehaltener Hand ihm nachgesagter Geiz. Zwischen ihm und mir nie ein Thema gewesen. Anderen gegenüber von mir kommentiert mit einem Achselzucken. Doch jetzt, da ich seinen Geiz erlebe (oder vorsichtig: zu erleben glaube), jetzt die Frage: Wie gehe ich damit um? Wieder Achselzucken? Nehme den Freund, wie er ist, mit seinem Geiz? Gehe ich mit Stillschweigen darüber hinweg? Oder will ich es von ihm wissen, wie das ist mit seinem Geiz, bevor ich ihn nehmen kann, wie er ist? Rede ich mit ihm darüber? Wenn das geht. Wenn er sich mir nicht weiter entzieht. Aber warum sollte er das tun? Er kann sich doch bekennen zu seinem Geiz und ihn mir erklären. Bei einem Abendessen. Essen gehen muss er sowieso und dann muss er an diesem Abend nicht alleine essen.