Mittwoch, 10. November 2010

Suppe

Sie hat eine rote Plastikblume im Haar und ich sage, du siehst ja spektakulär aus. Denn hübsch ist es nicht. Ohne Plastikblume würde sie besser aussehen. Richtig gut würde sie aussehen. Und das sage ich ihr auch später, nachdem wir ein Stück gegangen sind zusammen und ich sie von der Seite betrachtet habe: Das Älterwerden steht dir, sage ich. Sie dankt. Doch offenbar ist es nicht das, was sie gerade braucht, dass ihr das jemand sagt, und wenn es so wäre, bin ich nicht der, von dem sie es hören wollte. Sie schiebt ihr Fahrrad neben sich her. Im Fahrradanhänger sitzen ihre beiden kleinen Kinder, müde gespielt und sie machen gerade einen sehr zufriedenen Eindruck. – Als ich sie am Ausgang des Spielplatzes getroffen habe, mit zwei anderen Frauen, die jetzt mit ihren Kindern vor uns her gehen, da hat sie mich gefragt, wie es mir geht. – Nicht so toll, habe ich geantwortet. Aber auch nicht so schlecht, dass ich in die Suppe weine. - Darauf sie: Suppe hast du also noch. - Ich habe gegrinst und hätte sogar gelacht über ihre Bemerkung, wenn ich nicht gerade zurück käme von einem weiteren Missgeschick, der aktuellen Ausgabe der monotonen kleinen Grotesken, die mein Leben derzeit so uninteressant machen. - Und bei dir? frage ich. Alles gut? - Ja, ja. Die Kinder sind gesund. Mit den Jobs läuft es auch, antwortet sie. - Und sonst? hake ich nach. Der Mann, die Liebe? – Der Mann ist mal wieder in einer Krise. Krise wegen seiner Vergangenheit. - Wegen seiner schwierigen Familiengeschichte? - Ja, immer das Gleiche. Sie hat versucht, ihm zu helfen. Aber jetzt reicht es ihr. Er muss endlich mal klar kommen mit sich oder es muss Konsequenzen geben. – Du willst ihn wegschicken? – Sie sagt nicht ja. Sie spricht davon, wie es für die Kinder ist. Dass er keine Geduld hat für sie und um 7 Uhr abends ist er schon müde und geht ins Bett. - Ist er nicht Anfang 40? Da haben Männer ihre Midlife Crisis. - Die hat er, seit ich ihn kenne. - Ich doziere über Midlife Crisis: Ist eine Bilanz-Krise. Wer bin ich, was habe ich erreicht? Und was wollte ich mal? Kann sehr schmerzhaft sein, ist aber auch eine Riesenchance, was Neues aufzustellen mit sich. - Macht er aber nicht. Er tut nichts. Er ändert nichts. – Ich habe gerade in den letzten Tagen an ihn gedacht. Ich würde mich gerne mal mit ihm treffen. Aber ich weiß nicht, was ich noch tun kann, damit es mal klappt. - Du bist nicht der Einzige, dem es so geht. Erst ist er hinter den Leuten her und bemüht sich um sie. Und wenn er dann das Ja hat, macht er einen Rückzieher  und sagt: Ich werde dich ja doch nur enttäuschen. - Und das tut er dann anscheinend auch. - Wenn es so weiter geht, sagt sie, dann macht sie bald mal was anderes. - Was anderes heißt: ein anderer Mann? - Sie nickt und sagt: Das weiß er noch nicht. Aber das wird er dann schon mitkriegen. - Ich denke, dass ich nicht der andere Mann sein werde. Denn ich war es schon mal nicht. Weil es damals schon ihn gab. Vor sechs Jahren war das. Und als ich sie dann zum ersten Mal zusammen mit ihm gesehen habe, hat es mir auch eingeleuchtet, dass er es ist und nicht ich. - Ich deute auf die andere Straßenseite und sage: Ich muss jetzt mal da rüber. Da wohne ich. - Da drüben in der Nr. XX? fragt sie. – Du weißt die Hausnummer? – Die Kinder gehen in den Kinderladen im Haus nebenan. – Da sehen wir uns ja jetzt vielleicht häufiger, sage ich zum Abschied. Sie folgt den beiden anderen Frauen mit den Kindern, die an der Ecke auf sie warten, und ich überquere die Straße und überlege, ob ich über das Gespräch eben schreiben soll. Und wenn ich es tue, ob ich es mir dann nicht mit ihm verderben werde. Und mit ihr vielleicht auch, nachdem sie sich eben so offen ausgesprochen hat mir gegenüber. Aber dann denke ich, dass sie wahrscheinlich genau gewusst hat, was sie tat, und dass sie es vielleicht sogar darauf angelegt hat, ihm auf diese Art eine Botschaft zukommen zu lassen. Zu weit gedacht? – Gedacht, gedacht, gedacht. Als ich in den letzten Tagen überlegt habe, auf welche Leute ich zugehen könnte, um sie hinein zu ziehen in einen Plot - in eine Geschichte, die davon handelt, was passiert, wenn alles ausgesprochen wird -, da habe ich auch an sie gedacht und an ihn. Mit ihm will ich schon seit Ende letzten Jahres ins Gespräch kommen. Er schreibt. Er hat einen umfangreichen Roman verfasst, den er nicht veröffentlichen will, und erotische Kurzgeschichten, von denen sie mal gesagt hat, dass sie sehr komisch sind. Sie singt - klassischer Gesang und Jazz - und sie ist die Person, mit der ich einen Dialog haben kann in der Art, dass ich sage, dass ich nicht in die Suppe weine, und sie sagt darauf: Suppe hast du also noch. – Es ist allerdings nicht leicht, ihren Ton zu treffen und ihre Sprache wiederzugeben, habe ich beim Schreiben dieses Textes gemerkt. Seinen Ton zu treffen und seine Sprache wiederzugeben wäre leichter. Dafür scheint es aussichtslos zu sein, mit ihm überhaupt mal ins Gespräch zu kommen. Er ist übrigens ein Landsmann von der Tess.