Donnerstag, 11. November 2010
Übung
Alles aussprechen. Was ich nicht ausgesprochen habe in dem Text über Peter: Glücksfall 1 + 2. Größter Glücksfall, dass Peter sich nicht infiziert hat bei der HIV-positiven Susanne und dass sie ein Kind geboren hat, das nicht HIV-positiv war. Warum weggelassen? Nicht mit Absicht. Als ich den Text schrieb, ist es mir nicht eingefallen, obwohl ich es in der Vergangenheit, wenn ich die Geschichte von Peter, Susanne, ihrem Sterben und ihrem Sohn erzählt habe, sie immer mit dieser Pointe erzählt habe. Warum ist es mir nicht eingefallen? – Vermutung: Weil es mir in Glücksfall 1 + 2 nicht um diese Geschichte ging, sondern um meinen Respekt vor Peter. Weil mich das in eine Nähe gebracht hat auch zu seinem Sohn und den Gefühlen, die Vater und Sohn für Susanne haben – und weil es gegenüber diesem Gefühl schäbig ist, das Nicht-Angestecktsein als Glücksfall hervorzuheben und damit die Person, die für Peter die Frau seines Lebens war und für den Sohn die Mutter, die ihm fehlt, seit sie tot ist, diese Frau auf die Gestalt einer Virusträgerin zu reduzieren, die zum Glück für das Leben der Anderen ihr HI-Virus für sich behalten hat. – Gestern weggelassen, erst im Nachhinein ist es mir eingefallen: S., die sich beschwert über den Mann, T., seit ich ihn kenne und mich nach ihm erkundige. Nur, dass sie gestern mit einer Distanz über ihn geredet hat und mit einer solchen Entschiedenheit über Konsequenzen, wie sie das zuvor nie getan hatte. Weggelassen dabei auch: Mein vages Verständnis für ihn. Verständnis für einen einsamen Menschen, dem gelungen ist, was mir nicht gelungen ist: eine Frau zu finden, die so viel Vertrauen zu ihm hat, dass sie mit ihm zusammen zwei Kinder kriegt; aber er ist dabei einsam geblieben. Es gibt etwas in ihm, das er nicht teilen kann mit der Frau und im Zusammenleben mit ihr und den Kindern. Und das ist nichts, was er zum Verschwinden bringen sollte, damit er ein besserer Mann wird, auch wenn es möglicherweise eine Deformation ist vom Standpunkt eines Familienlebens aus gesehen. Denn es ist auch das, was ihn zu einem Schriftsteller macht, ob erfolgreich oder nicht; wenngleich das Erfolgreichsein die Deformation für andere akzeptabler machen würde. Einfacher gesagt: Ich kann mich einfühlen in jemand, der um 7 Uhr abends in den Schlaf flüchtet, auch wenn ich selbst so früh am Abend noch nicht ins Bett gekrochen bin, weil ich mein Wachsein nicht mehr ertragen habe. - Und was war das jetzt über Peter, seinen Sohn, über S. und T.? – Eine Schreibübung, um zu verhindern, dass sich hier das Weglassen und Verschweigen immer mehr ausbreitet, weil ich derzeit so viel weglasse und verschweige, wie ich es noch nie getan habe im Blog. Weglasse die Missgeschicke und weglasse was mit der Tess ist. Weglasse, was mit der Tess ist, weil es nichts zu erzählen gibt außer den Resten des Gegenüber-Szenarios und sonst nur, dass es eben nichts geworden ist mit uns und dass mich das nicht loslässt in Erinnerungen und Gedanken, die immer die gleichen sind, nur dass die Gedanken jetzt, da sie kein Ziel mehr haben, den Charakter von Zusammenfassungen annehmen. Beispiel von gestern: Wir haben uns getäuscht in einander. Das kann vorkommen. Aber besser, wir hätten es ausgelebt. So bleibt die nicht enden wollende Verwirrung über eine Liebesgroteske. Variante: Wir waren – beide – zu unbeholfen und zu dämlich, um zueinander zu kommen. Vielleicht besser so. Denn, wer weiß, was wir uns angetan hätten mit unserer Unbeholfenheit und Dämlichkeit, wenn wir es geschafft hätten. – Die große Groteske. Und die vielen kleinen Grotesken, die Missgeschicke? Warum nichts über das Missgeschick von gestern, warum nichts über den Vorfall vom Wochenende? – Weil ich solche Vorfälle, solche Missgeschicke oft genug beschrieben habe. Weil ich das Muster jetzt gesehen habe und das reicht. Ich könnte es forcieren, ausmalen, versuchen, Spaß damit zu haben. Will ich nicht. Ich will raus aus der Groteske. – Bild von heute: Es bleibt bei Rot. Auf der anderen Straßenseite eine mir bekannte, mir liebe Person. Mit Strümpfen so rot wie die Beine eines Storchs. Kühn, denke ich und rufe: Brigitte! Aber sie reagiert nicht. Weil ich mich getäuscht habe, weil es nicht Brigitte ist? Weil sie es so eilig hat, wie sie geht? Weil sie nicht hineingezogen werden will in meinen ominösen Plot? - Das müsste sie auch nicht fürchten, weil nicht jeder soll hineingezogen werden. Sie nicht. Aber das Bild bringt mich auf eine Idee. Der Plot ist nicht ein Plot, der entsteht, indem ich Leute planvoll hineinziehe, indem ich mich ihnen behutsam und trickreich annähere, mit ihnen verhandle, sie zu gewinnen versuche dafür, dass sie mitmachen. Den Plot gibt es bereits. Es ist mein Plot. Und niemand ist vor mir sicher. Außer Brigitte.