Mittwoch, 24. November 2010

Cent

Weiter mit dem Geldthema. Heute mal ganz anders. Auf dem Rückweg vom Schwimmen im Hallenbad am Sachsendamm. Der große Obst-und-Gemüse-Verkauf an der Ecke Haupt-/Dominicusstraße. Die riesigen türkischen Abate-Birnen, Kilo 2 Euro 99. Zwei Stück. Der Mann mit der grünen Schürze nimmt sie mir nicht ab. Ich soll sie auf die Waage legen, knurrt er. Wiegt sie, zieht das Preisetikett aus der elektronischen Waage, klebt das Etikett auf die Tüte und sagt: 2 Euro 21. – Ich sage: Der Cent is´n Witz. – Mach ich gleich weg, murmelt er. Wenn ich ihn richtig verstanden habe. Ich gebe ihm 3 Euro in die Hand und dann dauert es eine Weile mit dem Wechselgeld. Der Laden ist noch nicht organisiert. In dieser Kasse noch kein Geld, in der auch nicht. Er geht nach drinnen zur Hauptkasse. Endlich. Er zählt das Wechselgeld in seine Hand. Jetzt bin ich mal gespannt. Er gibt mir auf die drei Euro 80 Cent heraus - und sagt: Bitte sehr, mein Herr. - Pointe des Erlebnisses. Nicht, dass er den Cent auf meinen Einwand hin weggemacht hat. Pointe ist, dass er mich erst unfreundlich behandelt hat, als er mich anknurrte, ich soll die Birnen auf die Waage legen, und jetzt, nachdem ich den Cent runtergehandelt habe - was nur eine symbolische Aktion war, mit der ich ihn getestet habe und meinen Tag -, jetzt behandelt er mich freundlich und respektvoll und nennt mich mein Herr, obwohl ich gerade nach allem anderen aussehe als nach einem Herrn mit meiner vom Schnee-Geniesel feuchten schwarzen Kapuze und meiner ollen abgewetzten grünen Barbourjacke, die ich nur deshalb trage, weil sie mein einziges nicht-schwarzes Oberbekleidungsstück ist und ich mir verspreche, dass ich mit ihr in der Dunkelheit besser sichtbar bin beim Überqueren der Straße. – Zu Hause ein Anruf von der Sparkasse Heidelberg, Filiale Handschuhsheim. Herr Z., mein Kundenberater, meldet sich und sagt: Herr Gensheimer, es gibt ein Problem. – Oh Scheiße, denke ich. - Er weiter: An einem Bankautomaten in Berlin, bei dem Sie Geld abgehoben haben, wurden Kundendaten ausgelesen im Zeitraum von … bis … . Den Zeitraum kriege ich nicht mit wegen der sich überschlagenden Gefühlsreaktion, die bei mir gerade abläuft: von mulmig, weil ich fürchte, jetzt geht es gleich um meinen Dispokredit, über erleichtert, es geht nicht um meinen Dispokredit, zu erschrocken, viel ist da zwar nicht abzuräumen von meinem Konto, aber wer weiß, was das internationale Verbrechen alles drauf hat. Doch nein, nein. Meinem Konto ist nichts - noch nichts passiert. Herr Z. möchte nur, dass ich mich damit einverstanden erkläre, dass sie meine EC-Karte sperren. Wenn ich die paar Euro, über die ich noch verfügen kann, abheben will, soll ich es tun, bevor das geschieht. Und da es vierzehn Tage dauern wird, bis ich eine neue EC-Karte bekomme, erhöht er mir gerne mein Limit. Ich staune und danke für das Entgegenkommen. Danke auch für die Benachrichtigung und lobe die Wachsamkeit der Sparkasse. Lobe zweimal, danke zweimal. Bin unangemessen beflissen - wegen der Nachwirkung meiner komplexen Gefühlsreaktion zu Anfang des Gesprächs. Obwohl es eine Selbstverständlichkeit ist, wie die Sparkasse in Person von Herrn Z. den Vorfall abwickelt. Und das zeigt mir der Kundenberater auch, indem er auf mein zweites Danke antwortet: Und ich bedanke mich dafür, dass ich Sie gleich erreicht habe. - Was keineswegs ironisch gemeint ist, sondern bedeutet: die Sparkasse hat ein Problem und sie kümmert sich darum und gut, dass das so zügig möglich war. - Nach dem Geldabheben, wieder bei der Filiale der Berliner Sparkasse in der Hauptstraße, bei der ich Geld abgehoben im Zeitraum der kriminellen Aktivität, versuche ich mehr herauszufinden über den Vorfall. Erfahre aber nur, dass der Kartenschlitz des Terminals manipuliert worden ist und dass zusätzlich eine Kamera im Einsatz gewesen sein muss, welche die Eingabe der Geheimzahlen aufgezeichnet hat. Bei meinen anderen Fragen, zum Beispiel wie das passieren konnte während der Geschäftszeiten und wie viele Kunden betroffen sind, verbirgt sich die sehr junge Sparkassen-Angestellte, mit der ich spreche, geschickt hinter Naivität oder sie weiß es wirklich nicht. Das noch: Sie haben es erst mitgekriegt, als eine Art Aufmerksamkeitssystem registriert hat, dass mit den Daten von Berliner Sparkassenkunden in einem fernen Land, welches hat die junge Frau nicht gesagt, Geld abgehoben wurde. Aufmerksamkeitssystem formuliere ich so gespreizt, weil Überwachungssystem ist das nicht zu nennen, wenn die kriminelle Aktivität erst bemerkt wird, nachdem der Schaden sich auszubreiten beginnt. Es war kurz nach halb sechs am Abend, als ich Geld abgehoben habe im Vorraum der Filiale. Der Eingang zum Hauptraum stand weit offen. Drinnen saßen die MitarbeiterInnen an ihren Tischen und führten Kundengespräche. Im Vorraum gab es eine Kamera, die da nicht hingehörte und eine simple Elektronik zum Datenlesen, die im Kartenschlitz eines oder mehrerer Terminals steckte. Es kann natürlich sein, dass der Schaden, der durch diese Art von Kriminalität entsteht, so gering ist, dass es sich nicht lohnt, die Terminals mit Sicherheitstechnik auszurüsten, die bei solchen Manipulationen Alarm schlägt. Wenn das so ist, müssen die Betreiber aber auch in voller Höhe für den bei den Kunden entstehenden Schaden aufkommen. Tun sie das?

Außerdem hat hier heute ein Experiment stattgefunden. Es ist noch nicht zu bewerten. Es wird fortgesetzt. Nur, das hat sich jetzt schon gezeigt: Es ist einfach gut, mit der Tess zu tun zu haben.