Montag, 15. November 2010
Unbewusst 2
Jeder, der Freud gelesen und sich die nicht allzu große Mühe gemacht hat, ihm zu folgen, der weiß, dass Bewusstsein in der Theorie Freuds kein Ort ist mit einem Drunter und Drüber, und im übrigen auch kein Zustand. Sondern – das ist die Pointe und das, was man lernen kann bei Freud: Bewusstsein ist eine Aktivität. Eine Aktivität, die besteht im Erfassen von Regungen und Vorstellungen. Und die werden entweder gerade erfasst, dann sind sie bewusst. Oder sie sind noch nicht erfasst, aber erfassbar, dann sind sie vorbewusst. Oder sie sind beim besten Willen nicht erfassbar, (es sei denn in einer psychoanalytischen Therapiesituation oder in einer draufgängerischen schriftstellerischen Aktion). Und wenn sie für das Bewusstsein nicht zu erfassen sind, die Regungen und Vorstellungen, dann sind sie unbewusst – und deshalb auch nicht kontrollierbar. - Man schreibt zum Beispiel einen brillanten Artikel, in dem man so was von aufdreht, dass das Publikum schon kurz vor der Verzückung ist, aber dann passiert es: man lässt so einen fahren, dass sich alle nur noch die Nase zuhalten und sich kopfschüttelnd fragen: Hätte er damit nicht warten können, bis er alleine ist? Oder, raus aus dem Bild: Hätte er da nicht einfach darüber hinweg gehen können, wenn er keine Ahnung von Psychoanalyse hat; und nachdem er gemerkt hat, dass ihm eine wichtige Lektüre fehlt, sie bei Gelegenheit mal nachholen, statt - zurück ins Bild - einen solchen knatternden Furz zu lassen in seinem brillanten Artikel? – Ich übertreibe? Na dann: Vermutlich ist das wirkliche Unterbewusstsein real existierender Menschen sehr viel raffinierter, interessanter und vermutlich auch nicht so reflexlos einschnappend oversexed wie das Daniel Pagenstechers (Arno Schmidts Alter Ego in Zettel´s Traum). Und gleich noch einer hinterher, aber was für einer: Ein intelligenter Mensch hat kein solches Unterbewusstsein! – Nein, hat er nicht. Er hat ein Unbewusstes. Aber ganz gleich wie intelligent und gebildet er ist, sein Unbewusstes ist unraffiniert, man könnte auch sagen primitiv und geistlos, es ist uninteressant, man könnte auch sagen monoton, und es ist – reflexlos einschnappend verstehe ich nicht – auf jeden Fall oversexed und auch sonst sehr triebhaft, man könnte auch sagen tierhaft und garantiert espritfrei. - Hey! Das ist die Großpointe der Freudschen Theorie. Das ist Freuds große Durchbruchleistung. Das stellt ihn neben Darwin und über alle anderen, die nicht Nietzsche heißen. Das hat den Skandal gemacht zu seinen Lebzeiten. Das hat die empörte Ablehnung provoziert, gegen die sich die psychoanalytische Bewegung durchsetzen musste. Was ihr aber nie vollends gelungen ist. Wie nun die gouvernanteske Entrüstung von Stephan Wackwitz zeigt. Und dafür muss man ihn einfach wieder mögen: wie er dieses Schauspiel der von der Zumutung der Freudschen Lehre verletzten Eitelkeit eines Hochkulturmenschen in seinem Text aufführt mit dem drolligen Einakter - wie wollen wir ihn nennen? – Die Fürze der Gouvernante? – Entschuldigung! Mein Unbewusstes. - Um es feuilletonistisch korrekt zu formulieren: Einer kann noch so viele Adorno-Zitate parat haben, er kann Adorno selbst gewesen sein und gerade neulich erst die Ästhetische Theorie verfasst haben, sein Unbewusstes wird dennoch primitiv, monoton, irritierend triebhaft und vollkommen humor- und geistlos sein. Adorno war das übrigens immer klar und er soll es genossen haben. – Gegen Ende seines Artikels, wenn Stephan Wackwitz nicht mehr Freud-Erklärer und wieder nur Leser ist, kommentiert er seine Lektüre von Zettel´s Traum zusammenfassend so: (…) je weiter man liest, desto undeutlicher wird einem, ob man ein Kunstwerk vor sich hat oder ein Symptom. – Das kann man sich nach dem Erlebnis mit ihm nun lebhaft vorstellen, dass so was vorkommt. Und dann weiter: Die Wahrheit über Schmidts Spätwerk besteht wahrscheinlich darin, dass es, viel deutlicher als die meisten anderen inkommensurabel großen Bücher, beides zugleich ist. Große Kunst und kompliziert ausgearbeiteter Dachschaden. - Kompliziert ausgearbeiteter Dachschaden. Schön formuliert. Zitiere es auch nur, weil es so schön formuliert ist. Nicht weil ich damit einflüstern will, dass es sich beim Autor des Artikels ebenfalls um einen Fall von kompliziert ausgearbeiteten Dachschaden handelt. Denn was ihm da passiert ist in seinem Artikel, das ist etwas viel Einfacheres. Georg Groddeck hat es in Das Buch vom Es so formuliert: Wenn das Unbewusste stinken will, dann stinkt es. Da kann man nichts, aber auch gar nichts dagegen machen, will er damit sagen. Wenn das Unbewusste stinken will, dann stinkt es. Im Grunde genommen - Einflüsterung meines Unbewussten – habe ich diesen Text nur geschrieben, damit dieser Satz hier steht. Als Anlauf, Vorbereitung, um darauf zurück kommen zu können, wenn ich davon erzählen werde, wie ich einmal in meinem Leben so gestunken habe, dass ich fast wahnsinnig geworden bin.