Dienstag, 23. November 2010

Drama

Wenn ich das jetzt hinkriege, so wieder hoch zu kommen, wie es gestern mit mir runter ging am Nachmittag und frühen Abend, als ich mich so selbst dramatisiert habe, dass ich hinterher nicht mal mehr sagen konnte wie und nur noch nach Luft geschnappt habe. – Das war exakt um 20.45 Uhr, als ich vor dem Text über Taewoo saß, den ich am Nachmittag entworfen hatte – schlecht entworfen, weil unkonzentriert gewesen. Abgelenkt, weil der Mann vom Installationsbetrieb gerade meine Gastherme wartete: So, können wir dann mal die Heizung ganz hoch stellen? - Ganz hoch? Bis zum Anschlag? – Bis zum Anschlag. – Ohnehin schon nicht ganz bei der Sache, weil mir nicht aus dem Kopf ging das Schreiben vom Vormittag: Möglichkeit einer Geschichte. Ohne die Zwanghaftigkeit einer Idee. Ohne den Totalitarismus eines Pitchs. Da, wo du stehst. Nur das. Eine Geschichte, die anfängt, da wo du stehst. Jetzt. Hier. Wo stehe ich? Bei dem Experiment mit der Tess. Es erweitern zu einem Erzählexperiment? Von dem Experiment mit der Tess erzählen? (Nicht hier, Tess.) - Möglichkeit einer Geschichte mit der Tess. Das ist immer gut. Alles, was mit der Tess zu tun hat, ist gut. Die Gedanken flogen. Die Finger huschten über die Tasten. Ich überspringe jetzt mal den Mittelteil und komme zum Ergebnis. Ergebnis war: Tolle Geschichte. Aber sie fliegt nicht. Weil ohne dass die Tess mitmacht, funktioniert sie nicht. Sie macht nicht mit. Darauf eine Rückzugsversion der Geschichte entworfen. Habe ich mir inzwischen nicht noch mal angeguckt. Kann sein, dass die auch ohne die Tess fliegt. Für diese Version reicht es, dass die Tess da ist. Gegenwärtig. Das ist sie. – Aber was hatte ich jetzt erreicht? Wo war ich? – Unterwegs zu Edeka. Und während dessen wurde mir klar, dass der Freund, auf dessen Hilfe ich gehofft hatte bei der bevorstehenden Zuspitzung meiner Finanzkrise im Dezember, sich nicht melden wird wie verabredet, dass er sich verstecken wird, wie es eine von ihm bekannte Art ist. Dass er sich verstecken wird, weil er weiß, dass ich ihn um Hilfe bitten werde. - Keine Kalauer über die irischen Zocker-Banken. Nur das: Wenn du nicht damit drohen kannst, andere mit zu reißen, kannst du auch keine Hilfe erwarten. - Denn warum helfen? Dem Crash zugucken, sich dabei den Bart streicheln und sagen, dass man es immer schon hat kommen sehen, ist - auf jeden Fall kostensparend. – Das also auch noch. Ich überspringe das Abendessen und sitze jetzt vor dem Text über Taewoo und weiß nicht, wie ich da rauskommen soll aus meiner Selbstdramatisierung mit den Plänen und den Sorgen und den Bildern kretinistischen Bartstreichelns. Und dabei habe ich auch noch dieses wehe Gefühl, weil ich mir einbilde, dass die Tess erwartet, dass ich an diesem Abend über sie schreibe, weil es auf den Tag ein halbes Jahr her ist, dass ich den Blog gestartet habe mit einem Text über sie (der Susan-Sontag-Text vorher zählt nicht). Ich kann jetzt aber nicht über sie schreiben; ich habe den Text über Taewoo für heute. Und ich habe mich selbst so dramatisiert, dass ich, als ich es in einem Vorspann hinschreiben will, wie es gerade ist, hinschreibe: dass ich das jetzt ohne die Hilfe von jemandem anderen nicht schaffe. Dass ich jetzt dringend mit jemandem reden muss. Aber weil das so kläglich ist, lösche ich es gleich wieder, lösche den ganzen Vorspann. – Am Ende des Textentwurfs über Taewoo steht, dass er einmal einer meiner wichtigsten Gesprächspartner war, und eine Zeit lang der einzige. Einer, der ganz nah kam einer Person, die ich mir immer gewünscht habe als Gesprächspartner. Doch das ist eine andere Geschichte. Auch eine andere Geschichte als die, die ich in dem Text über ihn erzählen will. Deshalb lösche ich auch das später. – Jetzt denke ich, dass ich so jemanden brauchen würde, wenn es ihn gäbe. Doch es gibt nur die Tess auf der anderen Straßenseite. Mit der kann ich nicht sprechen, schreiben könnte ich ihr. Nicht im Blog. Auf die andere Art, weil es niemanden anderen angeht. Aussprechen über mich könnte ich mich, wenn ich ihr schreibe. Das hat schon mal funktioniert. Aber das ist vorbei, das Schreiben an sie. Das mache ich nicht mehr. Aus Prinzip mache ich das nicht mehr. Und in dem Moment war ich auf dem Tiefpunkt. Als ich mir das sagte: aus Prinzip nicht mehr. Diese trostlose Formulierung. Metaphorisch passend wäre: Ich habe gefröstelt in diesem Moment. – Und trotzdem war es richtig, nicht an sie zu schreiben. Kein Rückfall hinter gewonnene Einsichten. Ich mache das, was sie auch macht. Gegenwärtig sein. Mehr nicht. So lange sie auch nicht mehr macht. Und dass ich ihr jetzt doch noch geschrieben habe? Hier. Das geht. – Und das Experiment mit ihr? – Heute nicht, Tess. Morgen vielleicht? - Morgen.