Samstag, 13. November 2010

Alles

Das Kind steht mit uns an der Fußgängerampel Ecke Goltz-/Hohenstaufenstraße, Blick auf Unendlich und es geht etwas in ihm vor. Das Kind heißt Kind, weil ich wegen einer Absprache mit mir selbst im Blog die Namen von Kindern nicht nenne, seinen Namen auch gar nicht wüsste, weil ich ihn mir nicht merken kann und mich schon zum wiederholten Mal scheue, nach ihm zu fragen; nach all der Zeit, die ich die Eltern und das Kind schon kenne. Das Kind hat die roten Haare seiner Mutter und die weichen ebenmäßigen Gesichtszüge seines Vaters. Das Kind ist ein Mädchen von fünf (?) Jahren. Bevor es so in sich gekehrt war, ist es mit Bettina herum gerannt und als ich Guido getroffen habe, der auf der Straße gewartet hat, waren Bettina und das Kind gerade in einem Schuhladen. Guido und ich haben uns erzählt, was wir machen. Dabei habe ich mehr geredet als Guido. Von meinem Blog habe ich gesprochen und ihn damit hoffentlich als Leser geworben (Mein Werbespruch für Guido: Eigentlich ist das social suicide, was ich mache. Denn ich erzähle alles von mir). So geht das: Leser für Leser. Wohin es geht, weiß ich nicht, habe ich zu ihm gesagt. Und dann noch: Dass ich nichts Erfundenes mehr schreiben will, vorläufig wenigstens nicht. Weil meine Phantasie völlig versaut ist nach all der Zeit des Schreibens für das Fernsehen. Als ich sagte, meine Phantasie ist versaut, hat er gelacht. -  Und was macht er? –Hörspiele schreiben, daneben auch Prosa; mit Theaterstücken hat er auch wieder angefangen (er hat mal einen Dramatikerpreis bekommen für ein Stück) und dann gibt es noch einen Draht zu einer Produktionsfirma, die die Bloch-Reihe produziert, mit dem Schauspieler Dieter Pfaff. Ich frage nach und es stellt sich heraus, er ist dran, aber nicht drin – er entwickelt Ideen, aber er hat noch nichts untergebracht,  Drehbuchauftrag in weiter Ferne. Viel Geld bringt das alles nicht, was er macht, sagt er. Nicht so viel, dass er etwas zum Haushalt beitragen könnte. – Ja nun, sage ich, und deute auf Bettina, die gerade dem Kind hinterher rennt. Mit Ja nun und dem Deuten auf Bettina meine ich, dass sie doch genug Geld verdient mit ihrer Professur. Einer Professur in Süddeutschland. Deshalb ist sie mehrere Tage in der Woche weg. Während dessen betreut Guido das Kind. Und weil sie in der Woche mehrere Tage das Kind nicht sieht, findet es Bettina jetzt auch viel anregender, mit ihrer Tochter Fangen zu spielen, als sich an dem Gespräch von Guido und mir zu beteiligen. Demnächst wird die kleine Familie für zweieinhalb Monate in Israel sein, wo Bettina eine Gastprofessur hat. Und nächstes Jahr werden sie wohl wegziehen von Berlin. Entweder in die Stadt, in der Bettina ihre Professorenstelle hat, oder ins nahe gelegene München. Das Kind wird eine interessante Kindheit gehabt haben und es wird sehr wahrscheinlich auch nicht erleben, dass sich seine Eltern trennen. Denn, als das Mädchen zur Welt kam, waren sie schon fast 20 Jahre zusammen. – Es gibt Leute, bei denen es klappt. Man könnte auch sagen, dass es Leute gibt, die Glück haben. Aber das würde schon wieder bedeuten, dass die, bei denen es nicht klappt, in einer unglücklichen Lage sind, und das denke ich heute Nachmittag nicht. Man kann auch alleine leben, so dass es kein Unglück ist. Wenn man sich nicht ständig dagegen wehrt mit Sehnsüchten und Wünschen, die gerade nicht erfüllbar sind - und wenn es etwas gibt, das einen mit anderen Menschen zusammenbringt; am besten, indem man etwas für andere tut, statt zu erwarten, dass andere etwas für einen tun. – Solche Gedanken habe ich, weil ich heute phlegmatisch bin und weil ich, bevor ich Guido und Bettina mit ihrer Tochter getroffen habe, in der Bibliothek war, um die Spiegel-Titelgeschichte dieser Woche zu lesen: Eine für alles – Warum Männer immer noch zu viel von Frauen erwarten. – Beim Anlesen des Textes hat sich schnell gezeigt, dass der Titel ein Illustrierten-Titel ist. Heißt: im Heft geht es um etwas ganz anderes, als der Titel verspricht. Im Heft geht es also nicht um neueste Erkenntnisse der Geschlechterforschung, sondern - unter dem Titel Die Paarfalle  - darum, dass es so viele Singles gibt zwischen 30 und 50, die bei der Partnersuche scheitern wegen der Vielzahl von Möglichkeiten, zwischen denen sie sich nicht entscheiden können. Der Artikel besteht aus zwei Teilen: weibliche Perspektive, männliche Perspektive. Der eine Teil geschrieben von einer Redakteurin, Typ blonde Frau Mitte 30, durch die ich hindurch sehen würde, wenn sie mir auf der Straße entgegen käme, und von einem Redakteur, Typ dunkelhaariger Mann Mitte 30, an dem ich vorbei gucken würde, wenn er mir auf der Straße entgegen käme. Der Artikel basiert auf Fallgeschichten. Zum Beispiel dem Fall eines erfolgreichen jungen Anwalts, dem eine Anwaltsgehilfin in seiner Kanzlei schon sehr gefallen würde, aber dann bekommt er einen Zettel in die Hand, den sie geschrieben hat, und darauf steht recherchiren, und nun fragt er sich, ob er mit einer Frau zusammen sein will, die nicht weiß, dass recherchieren mit ie geschrieben wird. – Nach wenigen Minuten klappe ich das Heft zu, lege es zurück und lese dann noch in einer Grammatik der deutschen Sprache den Abschnitt über den Gebrauch von Präteritum und Perfekt nach, der mir in den letzten Wochen immer mehr durcheinander geraten ist.
Was kann ich für andere Leute tun? Ihnen von mir und meinem Leben erzählen. Alles.
Und was gibt es Neues aus der Geschlechterforschung? - Nichts richtig Neues; nur neue Formulierungen und Illustrationen:
Männlein und Weiblein haben sich ein beeindruckendes Arsenal an körperlichen wie psychologischen Selektionsinstrumenten zugelegt, um ihre je eigene Fortpflanzungsstrategie - Ressourcensicherheit bei den Weibchen, Streuung des Genmaterials bei den Männchen - zu verwirklichen. - Bei der elften Konferenz Science and Society am Heidelberger Europäischen Molekularbiologischen Labor (EMBL) präsentierte der Biologe Tim Birkhead ein beeindruckendes Beispiel dafür: die sonderbar spiralig aufgedrehte Vagina von Enten, die zusätzlich mit Seitentaschen ausgerüstet ist. Zweck der Konstruktion: Kommt der richtige Partner, bleibt das Weibchen entspannt, die Spermien klettern ungehindert die Spiralvagina hinauf. Wird die Ente jedoch vom Falschen bedrängt, was nicht unüblich ist, sorgt ein Muskelimpuls dafür, dass sich die Spiralvagina verkürzt und verschließt - und das unerwünschte Sperma in den Seitentaschen endet.
(Quelle: FAZ - Was trennt die Geschlechter?)