Donnerstag, 18. November 2010

Vertan

Schlimm. Romantitel Atemschaukel. Literaturnobelpreis. Jetzt Verrat. Feuilletons voll davon. Und dann noch ständig diese Haare  im Gesicht.  Die gehen nicht von heute auf morgen weg.  Bitte Foto gucken hier.  – Bei mir ist es auch nicht gut gelaufen heute. Verrat? Ich kenne nichts anderes. Aber das war es nicht. Gegen 17 Uhr aufgegeben. Als Letztes hingeschrieben: Regen. In den Regen gehen. – Vielleicht passiert was draußen. Aber bloß keine Supermarktgeschichte! Nicht schon wieder eine Supermarktgeschichte. Dann bei Penny der große dicke Mann mit den zierlichen Bewegungen, der mir mal so behende (neudeutsch: behände) ausgewichen ist und sich vor das leere Schaufenster gestellt hat, um keine Grüße austauschen zu müssen mit mir. Der stand an der Kasse bei Penny, als ich mir einen Einkaufswagen nahm. Einen Moment habe ich gezögert. Denn ihn wollte ich immer schon mal ansprechen auf sein merkwürdiges Verhalten von damals. Doch dann habe ich gedacht, das will ich ihm jetzt nicht antun und mir auch nicht an so einem misslungenen Tag von mir. Obwohl ich den Tag damit vielleicht hätte retten können und es gar keine Supermarktgeschichte gewesen wäre, zu der es nun aber doch wird, denn weiter geht es nicht anschließend draußen im Regen, sondern an der Kühltheke, zu der ich gehe wegen einer Packung geräucherter Putenbrust in Scheiben geschnitten, die es nirgendwo besser gibt als bei Penny. Bei der Kühltheke, ist das der Lebensgefährte von der Tess? – Armeegrauer Parkamantel mit pelzbesetzter Kapuze, massive dunkelbraune Timberland Halbschuhe , schwarzer Rucksack. Alles wie neu, perfekte Regengarderobe. Sieht aus wie der Lebensgefährte von der Tess. Immer wieder erstaunlich, wie jung der aus der Nähe wirkt. Die Summe dieser Beobachtungen macht es vorstellbar, wie lange und wie oft ich zu ihm hingeguckt habe. Er aber nicht zurück. Entweder weil es nicht der Lebensgefährte von der Tess war. Oder weil er einen Blickkontakt mit mir vermeiden wollte und nicht darauf aus ist, mich kennenzulernen als Nachbarn und Bewunderer seiner Freundin. Im Gegensatz zu mir, der ich gerade erst vor wenigen Tagen mal gedacht habe, dass ich ihm gerne mal über den Weg laufen würde, um mit ihm bekannt zu werden. Aber da er nicht meinen Blick erwidert hat, nicht mal kurz und scheu, hätte ich schon überfallartig auf ihn zugehen müssen, und das ist nicht drin an diesem Tag. Ich habe an der Kasse dann noch hinter mich geschaut, ob er da steht, sozusagen aufgeschlossen hat zu mir, und es eine zweite Chance gibt. Doch da war er immer noch zwischen den Regalen unterwegs, vertieft in das Warenangebot wie jemand, der nicht so oft einkaufen geht oder zum ersten Mal bei Penny ist. – Dieser Tag. Vertaner Tag. An mir hat es nicht gelegen. Ich habe Präsenz gezeigt beim Schreiben. Ich war da. Ich habe es versucht. Doch es ist nichts dabei herausgekommen. Ich ahne warum. Mehr, wenn ich es genau weiß. – Vorhin mal: Wenn ich ein kleines Kind wäre, dann würde ich es jetzt so lange drauf anlegen, dass mir jemand ein Unrecht antut, bis ich losheulen kann. Dem Kind würde es helfen. Mir nicht. In Wahrheit hat es nämlich doch an mir gelegen. Wäre ich heute morgen um 6 Uhr aus dem Bett gekrochen, ins Hallenbad zum Frühschwimmen gegangen, hätte ich sowieso schon mal  einen ganz anderen Tag erlebt. Außerdem hätte ich dann nach dem Schwimmen beim Duschen wie immer neben dem mir so sympathischen Mann gestanden, der einen sächsischen Akzent hat, aussieht wie Mitte 60, tatsächlich aber Mitte 70 ist und der eine solche Gelassenheit hat, dass sie sich sogar auf mich überträgt, wenn ich ihm zuschaue, wie er sich die Haare wäscht und hinterher mit seinem Waschlappen hantiert. Dabei hätte ich ihn gefragt, was mich schon seit einer Woche beschäftigt: warum er mir letzten Mittwoch mit einem solchen Ernst und solch einem Nachdruck gesagt hat, dass nicht jeden Tag die Sonne scheinen kann. Mit Sicherheit hätte ich dann eine ganz andere Geschichte zu erzählen gehabt von diesem Tag. Aber so war ich wieder nicht schwimmen. Habe alleine geduscht. Und habe bitter erfahren müssen, dass nicht jeden Tag die Sonne scheinen kann. In jeder Hinsicht erfahren.