Sonntag, 4. Juli 2010

Voodoo

Maradona. Müller. Merkel. Messi. Immer wieder Messi. Immer wieder Merkel. Immer wieder Maradona. Immer wieder Müller: In der dritten Minute schießt der  Marathonläufer Thomas Müller das 1:0 für die deutsche Mannschaft. Es ist „das schnellste Tor der WM“ sagt der Kommentator Bela Rethy. So was kann man sagen. Wenn man es hinschreibt, sieht man, dass es heißen müsste, dass es das früheste Tor der WM ist. Ich sitze vor dem Fernseher und habe mein Laptop in Sichtweite und meine drahtlose Cherry-Tastatur im Schoß, weil ich mich bei dem England-Spiel letzten Sonntag stellenweise gelangweilt habe und weil das jetzt eigentlich die Zeit ist, zu der ich täglich blogge, und weil ich gar nicht genug tun kann, um mich abzulenken. Angela Merkel ist im Stadion in Kapstadt. Interessiert die sich ernsthaft für Fußball? Ihre Torbegeisterung in der dritten Minute lässt es vermuten. Wenn sie nur so tut, haben wir ein Problem mit ihr. Tevez verliert einen Schuh im Zweikampf mit Khedira. Maradona hat einen Rosenkranz aus massivem Silber in der Hand.  Ich denke, die machen schon noch ihr Tor, die Argentinier. Und im nächsten Moment – wirklich im nächsten Moment – der starke Pass von Lionel Messi auf Tevez. So – könnte es gehen. Stattdessen nun Müller auf Klose. Mann, haben die Platz!  Der muss eigentlich drin sein. Die "Suche der Argentinier nach einem Rezept" sieht Rethy. Hätte ich nicht meine Tastatur im Schoß, würde ich jetzt anfangen mich zu langweilen. Freistoß Messi: „Es ist der 24. Torschuss des Weltfußballers bei dieser WM. Tore bisher null.“ Leonardo DiCaprio auf der Tribüne. Hinter Mick Jagger. „USA und England sind ausgeschieden. DiCaprio und Jagger sind noch da. Schweinsteiger auch“, sagt Rethy. Handspiel Thomas Müller. Gelb. Freistoß Messi in die Mauer. Die letzten zehn Minuten der ersten Halbzeit war Argentinien besser. Aber nicht als Deutschland. Der Kalauer ist von mir. Die Zigarette in der Halbzeitpause schmeckt nicht, weil es viel zu heiß ist, um zu rauchen. Das Fenster des Contessa-Zimmers ist geschlossen. Ich versuche so zu tun, als wäre nichts. Die Argentinier stecken in den Katakomben die Köpfe zusammen, bevor sie zurück aufs Spielfeld gehen. Die deutsche Mannschaft hält dem Druck der Argentinier stand. Jetzt langweile ich mich trotz der Tastatur in meinem Schoß und würde gerne an was Schönes denken. Der Marathonläufer Müller spielt im Sitzen den Ball auf Podolski. Der passt auf Klose, der Mühe gehabt hätte, das Tor nicht zu machen. Merkel ist völlig aus dem Häuschen und hat vergessen, für diesen Auftritt die unvorteilhafte Brille abzusetzen. Ist ihre Begeisterung doch echt?  Schweinsteiger macht mit der argentinischen Abwehr, was er will, und schenkt Arne Friedrich das erste Länderspieltor seiner Karriere. Merkel lässt sich jetzt völlig gehen. Die südafrikanischen Würdenträger um sie herum wissen nicht wohin mit ihren konsternierten Blicken. Was werden sie denken? Wissen sie von den miesen Umfragewerten der Merkel-Regierung? Haben sie  von dem  in Deutschland verbreiteten Voodoo-Glauben gehört, wonach die Bürger mit ihrer Regierung gleich viel zufriedener sind, wenn das Nationalteam ins WM-Halbfinale kommt? - Müller mit Krampf raus in der 83. Minute. „Der ist mehr als 10 km gelaufen in dem Spiel“, sagt Rethy. Viertelmarathon sozusagen. Maradona ist nicht zu Scherzen aufgelegt. Den Tränen nahe. Und dann auch noch der katzenhafte Özil aus dem Fußgelenk auf Klose, der das 14. WM-Tor seiner Karriere erzielt.  Merkel verausgabt sich völlig. Fehlt nur noch, dass sie von einem Fuß auf den anderen hüpft. Auch das würden die südafrikanischen Würdenträger mittlerweile mild lächelnd hinnehmen. Denn das muss man sich mal vorstellen: 4:0! Gegen Argentinien! „Der Mythos Maradona ist zerstört“, sagt Rethy.  Und Messi hat bei der ganzen WM kein einziges Tor geschossen. Er heult gleich. Maradona nimmt ihn tröstend in den Arm. Es sieht nicht so aus, als ob das helfen würde. Der Marathonläufer Müller ist auch traurig, weil er im Halbfinale gesperrt ist wegen zu vieler gelber Karten.  Auf Bild.de steht, dass Merkel in der Kabine Schweinsteiger umarmt hat.  Auf FAZ.NET wird sie zitiert mit der Bemerkung:  “Deutschland hat hier heute etwas Wunderbares geschafft. Das war eine tolle Sache.” - Deutschland, sagt sie, hat hier heute etwa Wunderbares geschafft. Voodoo.