Samstag, 17. Juli 2010

Muscle Shirt 2

Drei Jahre später. Dennis Hopper gestorben. Da muss ich an sie denken, weil sie mit dem in Cannes Champagner getrunken hat auf einer Yacht und ihn so gerne mochte. Ich schicke eine Mail und dann eine zweite: ob sie immer noch beleidigt ist? – Antwort:  Nein, warum denn? Sie fragt nur ihr Mail-Konto so selten ab. Online läuft bei ihr inzwischen alles über Facebook. Wir werden Facebook-Freunde. Keine Woche später gibt sie auf ihrer Wall ihren Ausstieg bei Facebook bekannt. Auf Englisch. Was nicht  affig ist, da sie zahlreiche amerikanische Facebook-Freunde hat. Darunter Jen Lynch, Tochter von David Lynch, die ich auch gerne als Facebook-Freundin hätte. Doch dazu wird es nicht kommen, weil der mutual friend sich gerade verabschiedet hat. Warum denn? Du warst doch so aktiv bei Facebook. – Eben deswegen, mailt sie zurück. Es ist ihr zu viel geworden. Und überhaupt; alles ist gerade sehr schwierig. Ihr Leben ein Scherbenhaufen und deshalb ist sie im Moment "incommunicado". – Scherbenhaufen? – Hat ihr junger Mann sie verlassen? Oder ist sie endlich dahinter gekommen, dass er sie seit Jahren hintergeht, was ich mir immer schon gedacht habe, weil er das so ausgelebt hat mit dem Wegsein? Oder er geschmeidig wie und  je, sie gutgläubig und ahnungslos wie immer; eine ganz andere Art von Scherbenhaufen?  - Drei Wochen vergehen. Vorgestern Abend rufe ich sie an. Nicht aus Neugier, sondern weil ich gerade niemanden anderen erreiche, der mit mir redet und nicht nur vor meinen Augen bügelt und Licht an und aus macht und Fenster auf und zu und an diesem Abend wegen Beleidigtsein nicht mal das.  Reden. Völlig egal worüber. Reden. Zum Beispiel darüber, warum sie so plötzlich raus ist aus Facebook. –  Ganz einfach, sagt sie, weil es sie  zu sehr in Anspruch genommen hat und es ihr dafür zu oberflächlich war – all die Leute, die sie nur entfernt kannte, und dazu die Hyperaktivität der Freundinnen in Los Angeles mit ihrem ständigen Geposte und dann auch noch das Getwittere. – Verstehe. Nun also das mit dem Muscle Shirt und der Spießigkeit. - Spießigkeit? An den Vorwurf kann sie sich nicht mehr erinnern, aber an Lou Reed und das Muscle Shirt sehr wohl. Da graust es sie jetzt noch, wenn sie daran denkt, obwohl sie ihn gar nicht selbst gesehen hat in dem Muscle Shirt, sondern es nur gehört hat von ihrem jungen Mann. Ich aber habe ihn mal gesehen, wie er eins trug auf der Bühne. Weil es praktisch ist. Weil er nicht so ein Gitarrenzupfer ist wie Eric Clapton, sondern ein mit vollem Körpereinsatz spielender Gitarrist. – Schlechter Gitarrist, sagt sie und dass das gar nicht geht in seinem Alter mit Muscle Shirt rumlaufen. – Worauf ich sage, dass „geht gar nicht”, dass das ein  Sekretärinnen-Spruch ist ein dämlicher und finster dazu – finsterstes Spießertum, Urteilen über andere, sich selbst zum Maßstab machen für andere. – Ist ihr egal. Sekretärin ist sie nicht und  Muscle Shirt bei Lou Reed geht gar nicht. Darauf beharrt sie und ich bemerke, dass man mit ihr streiten kann, ohne gleich Krach mit ihr zu kriegen. Trotzdem ist alles gesagt und ich frage, nun doch neugierig: Scherbenhaufen? – Sie hat kein Problem mit meiner Neugier; sie ist selbst neugierig. Und es ist tatsächlich so, wie ich es mir gedacht habe. Nur alles viel schlimmer, weil sie jetzt damit leben muss:  Es gab Anzeichen. Die haben sich gemehrt. Der junge Mann war zum Beispiel nicht erreichbar, weil er sein Handy in der anderen Jacke vergessen hatte;  wo  jeder weiß, der ihn kennt, dass ihm das nie passieren würde.  Da hat sie sich  sein Handy mal vorgenommen. Seine SMS gelesen. Schock. Enttäuschung. Am schlimmsten die SMS, bei der sie sich genau erinnern konnte, in welcher Situation er die geschrieben hatte; der Sohn bei ihm im Bett gelegen, sie im Nebenzimmer.  Eine Woche lang gekotzt hat sie, wo sie ging und stand. Am schlimmsten für sie die Lügen. Und die Gewöhnlichkeit. Diese tausendmal gehörte Geschichte, dass die ihr jetzt selbst passieren muss. Wo sie doch immer gedacht hat, dass sie anders sind. – Einzigartig? – Ja. Nein. Weiß sie jetzt nicht. Auf jeden Fall, dass ihnen so was passiert, das hat sie nicht für möglich gehalten. Vor allem nicht, dass er sie so belügen würde. Deshalb weiß sie auch nicht, ob das wieder gut zu machen ist. Doch ausschließen will sie es nicht, dass sie es noch mal miteinander versuchen; sie haben sich auch ausgesprochen und zusammen geweint und ihm dabei nichts geschenkt hat sie: Ob ihm eigentlich klar ist,  dass er genau so alt war wie jetzt ihr Sohn (11 1/2) , als sich seine Eltern getrennt haben, hat sie ihn gefragt. Das hat er kaum ausgehalten, als sie ihm das klar gemacht hat. – Hat sie dem Sohn gesagt, was passiert ist?  - Keine Details. Nichts, um seinen Vater schlecht zu machen vor ihm.  Aber er hat ja mitgekriegt, wie es ihr  geht, und hat gefragt,  Da konnte sie ihm doch nichts vormachen.  – Ich muss nicht viel  sagen. Nur zuhören und ab und zu mal eine Frage stellen.  Dabei könnte ich mir sozusagen mein Teil denken.  Doch das Aasige in mir, das Biest, rührt sich nicht. Keinen Moment denke ich daran, dass das mit Sicherheit nicht seine erste Affäre ist, sondern nur die erste, die sie mitgekriegt hat. Und als sie erwähnt, dass er gerade 42 geworden ist und das Ganze ein klassischer Fall von Midlife Crisis, da denke ich nicht, dass das allenfalls der Grund dafür ist, warum er sich dieses Mal hat erwischen lassen, weil die aktuelle Affäre vielleicht ernster ist als die Affären davor. All das denke ich erst danach und jetzt, da ich das hier schreibe.  Doch während ich ihr zuhöre, kein Gedanke daran. Da habe ich einfach nur Achtung vor ihrem Unglück und Respekt vor ihr. Dass sie bei alldem ihren Verstand nicht verliert. Dass sie nicht wütet und tobt gegen den Mann und sich nicht in Racheplänen verliert, die sie dann doch nicht realisiert. Dass sie weiß, dass es irgendwie weiter gehen wird, auch wenn sie sich jetzt noch nicht vorstellen kann wie. Dass sie es nicht nötig hat,  stärker und tapferer zu tun als sie es sein kann in ihrer Enttäuschung. Und dass sie gerade deswegen tapfer ist.  Und weil sie so tapfer ist, will ich ihr etwas Gutes tun. Viel ist es nicht, aber es kommt wirklich von Herzen: Weißt Du was, sage ich zu ihr,  ich nehme das mit der Spießigkeit zurück. Du bist nicht spießig.