Montag, 19. Juli 2010
Beine
Erster Gedanke nach dem Aufwachen: Ich streiche den Text von gestern zusammen. Für den Blog reicht es, wenn da steht, dass sie die Vorhänge wieder geöffnet hat und dass sich was ändern muss. Dann sehe ich, dass die Vorhänge am Fenster des Contessa-Zimmers wieder geschlossen sind. Da denke ich erst: Lächerlich. Jetzt machst Du Dich lächerlich, Tess. Und dann denke ich: Jetzt muss ich den Text doch so stehen lassen, wie er da steht. Denn er ist der Auslöser dafür, dass es gerade so weiter geht mit Vorhang zu. Erschüttert bin ich nicht. Ich lache (bitter). Darüber, was das Spielkind auf der anderen Straßenseite so treibt. Obwohl mir jetzt schon klar ist, dass ich das im Laufe des Tages nicht mehr zum Lachen finden werde, wenn ich zum ich weiß nicht wievielten Mal auf die Vorhänge starren werde, die übrigens weiß sind, aus leichtem segeltuchartigem Nessel – und überraschenderweise um 8 Uhr 30 wieder offen. - Sie wollte also nur mal Buh! machen. Mir einfach nur einen Schreck einjagen. So ist die nämlich. Die macht so Sachen – und noch ganz andere. Samstag: Ich arbeite im hinteren Zimmer. Ich vermeide den Blick hinüber zur Dachwohnung auf der anderen Seite der Straße – in das Wohnzimmer mit der Glastür zur nach hinten raus gelegenen Veranda. Warum eigentlich vermeide ich den Blick? Als ich vom Rauchen zurück komme, schaue ich doch mal rüber. Über Tag rauche ich nur am offenen Fenster in der Küche - um weniger zu rauchen und damit die Wohnung nicht so nach Rauch stinkt, wenn die Tess mal zu mir zu Besuch kommen sollte. Was sie aber an diesem Nachmittag voraussichtlich nicht tun wird . Denn sie liegt auf der Veranda gegenüber und sonnt sich. Ich erkenne sie gar nicht gleich. Weil zuerst sehe ich nur – was ist das? Beine? – Beine. Ihre Beine ausgestreckt auf einer Liege. Nur ihre Beine sehe ich. Alles andere von ihr ist für meinen Blick verdeckt. Sie hat sich so hingelegt, dass ich nur ihre Beine sehen kann. Ihre schönen langen Beine, über die ich schreibe, seit ich ihr schreibe, wie Salomo im Lied der Lieder über die zwei Brüste, die wie zwei Kitzlein sind, Zwillinge einer Gazelle, die unter Lilien weiden. Na ja, auf meine Art habe ich geschrieben, nicht so bunt und bildlich, aber genau so ergriffen und liebevoll. Ihre Beine. Tess. Während sie es mir im Contessa-Zimmer mit dem weißen Nessel gibt, um mich in die Schwermut zu treiben, zeigt sie mir auf der Veranda ihre schönen langen Beine. Um mich zu locken? Aber wohin? Da drüben ist doch ihr Mann. Und im Contessa-Zimmer signalisiert sie mir doch das Ende aller Hoffnungen. Also will sie mich nur kirre machen? Will sie nur mit mir spielen? Und davon mal abgesehen, ist das nicht billig? Ist sie so? Und denkt sie, weil sie so ist, dass ich auch so bin? Dass ich darauf anspringe? Und will ich was mit einer Frau zu tun haben, die so ist, dass sie denkt, dass ich so bin, dass sie mir damit den Verstand rauben kann? Will ich diese Frau kennenlernen? Endlich? Unbedingt? – Ja! Ich will. Denn über all das kann man schließlich reden.