Montag, 12. Juli 2010
Heimlichkeiten
Geständnis: Ich erzähle hier längst nicht mehr alles, was mir passiert, wie in der heroischen Anfangsphase von Ich-veröffentliche-mein-Leben. Das ist keine Absicht, keine Änderung des Plans. Da hat sich was eingeschlichen, Das ist nicht gut. Das soll wieder anders werden. Angefangen hat es mit dem PSA-Test. Prostataspezifisches Antigen. Vorsorgeuntersuchung. Den PSA-Test habe ich allerdings auch vor mir selbst verheimlicht. Nach dem Besuch in der Praxis von Dr. S. - der mit dem Urin, Urin, Urin - habe ich mir nämlich Vorwürfe gemacht, dass ich dem mein Blut überlassen und mich nicht gleich verabschiedet habe, nachdem er festgestellt hatte, dass meine Prostata nur geringfügig vergrößert ist, und nachdem ich im Gespräch mit ihm erkannt hatte, dass Dr. S. bei aller Sympathie für Verschrobenheit kein Arzt meines Vertrauens ist. Was, wenn das Ergebnis des PSA-Tests kritisch ist - was leicht passieren kann, ohne dass tatsächlich was Bösartiges vorliegt? Was. wenn ich deshalb noch einen zweiten und einen dritten Test machen muss? Und das alles medizinisch und menschlich begleitet von Dr. S. und in der transsylvanischen Atmosphäre seiner Praxis. Eine Woche später, Dienstags, sollte ich anrufen, um das Testergebnis zu erfragen. Samstag davor habe ich beschlossen, dass ich meinen Fehler, Dr. S. mein Blut überlassen zu haben, korrigieren würde, indem ich nicht anrufe. Sollte das Ergebnis bedenklich sein, sollten die mich kontaktieren. Sollte ich nichts hören, würde ich annehmen, dass alles in Ordnung ist. Haltung eines Kindes, das sich die Hand vor die Augen hält und glaubt nicht gesehen zu werden? – Nicht ganz. Es war eine Vorsorgeuntersuchung. Ich hatte ja keine Beschwerden. Im Gegenteil: Alle Fragen nach Prostata-Symptomen, die Dr. S. mir bei der Anamnese gestellt hatte, konnte ich vergnügt mit Nein beantworten. Dr. S. darauf verdrießlich: “Dann sind sie also gesund?” – Naja, habe ich geantwortet, deshalb bin ich hier, um sicher sein zu können, dass es so ist. – Das war ich nun allerdings nicht mehr, da ich nicht anrief. Doch diese Unsicherheit war es mir wert, mich dem Dr. S. entzogen zu haben. Eine Haltung, die mich selbst überrascht hat – bei meiner Vorgeschichte. Es gibt nämlich noch einen zweiten Grund, warum ich nicht so gerne in der Praxis angerufen hätte, und deshalb auf jeden Fall lieber hingegangen wäre, um das Ergebnis zu erfragen (davon ein andermal). An den zweiten Grund hatte ich schon einige Male gedacht und einige Male hatte ich überlegt, dass ich hier darüber schreiben sollte. Das habe ich dann aber lieber nicht getan, weil ich lieber entspannt sein wollte. Das ist mir gelungen. So entspannt war ich, dass ich schon lange nicht mehr an meine Prostata und an Dr. S. gedacht habe, als ich am Samstag Post von ihm bekam. Rechnung für ambulante Behandlung am 15.06.10; in doppelter Ausfertigung. Krebsvorsorgeuntersuchung Mann (die Fragen, die er mir gestellt hat, und das mit dem Finger im Rektum) 37 Euro 54; Blutentnahme aus der Vene 4 Euro 20; Prostataspezifisches Antigen 20 Euro 11, Endsumme 61 Euro 85. - Ach, und da steht es ja: Diagnosen. – Ich habe Latein gelernt. Und ich hatte mal ein malignes Melanom, also ein bösartiges Hautdings. Ich könnte es nun wirklich wissen. Und trotzdem habe ich gedacht: Oh Scheiße! Und der Schreck ist mir in den Magen gefahren. Und dann erst habe ich realisiert: Benigne Prostatahyperplastie. Benigne, du Trollo! Benignus = gütig, gutartig! Ist mir schon mal passiert, dass ich benigne semantisch mit maligne = bösartig assoziiert habe. Und dass ich es dieses Mal wieder getan habe, lag bestimmt daran, dass ich die ganz Zeit doch nicht so entspannt war, wie ich es mir vorgestellt hatte.